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Menschlich durch die Krise

14. Oktober 2020

Logo Jobcenter Rosenheim
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Wenn Armin Feuersinger etwas Platz im Terminkalender hat, schaltet er sich selbst in die Telefonhotline des Jobcenters Rosenheim ein. Noch tiefere Einblicke in den Alltag, sagt der Geschäftsführer, gebe es nirgendwo sonst.

Wie ernst die Lage in Coronazeiten ist, begreift Feuersinger in Momenten, wo sich bekannte Stimmen am anderen Ende der Leitung melden – eine Verkäuferin etwa, bei der Feuersinger vorher selbst im Laden war. „Einige Kunden waren zum ersten Mal in ihrem Leben gezwungen, staatliche Leistungen zu beantragen“, sagt Feuersinger hörbar bewegt. Die Frau ist nur ein Schicksal von vielen im Frühjahr und Sommer 2020, doch dieser persönliche Bezug geht dem Jobcenter-Chef nicht aus dem Kopf.

Persönlich ist das Schlüsselwort beim Blick auf das Jobcenter Rosenheim-Stadt. 50 Menschen arbeiten hier auf drei Stockwerken, jeder kennt jeden. Das gilt beinahe auch für die Bedarfsgemeinschaften: Auf zwischenzeitlich 1.780 steigt ihre Zahl in der Coronakrise. Doch auch diese vergleichsweise wenigen Menschen haben viele Fragen und Sorgen. Immerhin acht Wochen ist das Jobcenter im Frühjahr 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen.

Wegen der Kontaktbeschränkungen denken sich die Rosenheimer eine Lösung aus, auf die sich die Leistungsberechtigten verlassen können: Wer zum Jobcenter kommt und seine Telefonnummer hinterlässt, wird noch am selben Tag zurückgerufen. „Nicht alle Menschen sind ständig und immer online, viele beachten unsere Aushänge auch nicht“, erzählt Feuersinger. „Das sind diejenigen, die auch in dieser Lage lieber auf ihren zwei Beinen zu uns kommen.“

Viele Mitarbeitenden sitzen im Homeoffice, müssen Kinder betreuen, arbeiten frühmorgens oder spät am Abend. So kommt es vor, dass manche Leistungsberechtigten noch um kurz vor 20 Uhr einen Rückruf vom Jobcenter bekommen. „In dieser Situation haben wir gespürt: Von uns sind Menschen abhängig, die sind auf unsere Arbeit angewiesen. Das hat sehr motiviert.“

Für die Motivation legt sich aber auch Feuersinger ins Zeug: Neben den Rückrufbitten landen nämlich noch andere Dinge im Hausbriefkasten. Kleine Klebezettel mit Dankebotschaften etwa und sogar ein Glücksbringer für die Jobcenter-Belegschaft. „Ich bin jetzt seit 45 Jahren bei der Bundesagentur – und ich habe noch nie so viel positive Rückmeldungen erfahren“, erzählt Feuersinger. Um alle daran teilhaben zu lassen, verbreitet er die lieben Wünsche gleich weiter per Rundmail: Schaut mal, was heute in unserem Briefkasten war!

Auch die Hygiene wird in Rosenheim zur Chefsache: Statt lange zu warten, holt Feuersinger einen lokalen Schreiner ins Haus. Der installiert innerhalb eines Tages an allen Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt einen maßgeschneiderten Plexiglas-Schutz.

Der Posteingang stellt sich in der Hochphase der Coronakrise als Flaschenhals heraus. Briefe aus ihrer Stadt bekommen die Rosenheimer Mitarbeitenden nämlich nicht direkt auf den Schreibtisch. Das Papier reist in der Regel 300 Autobahnkilometer weit zu einem Scan-Center in Böblingen – wo sich in der Krisensituation aber mehr und mehr Briefe anstauen. Feuersinger leitet die Lieferkette kurzerhand um, unter anderem in sein eigenes Vorzimmer. Dort scannt seine Kollegin im Akkord eingehende Anträge, sodass die Sachbearbeiter arbeitsfähig bleiben. Die Rosenheimer Coronastrategie ist also nicht nur persönlich, sondern auch pragmatisch.

Einige Leistungsberechtigte umgehen den Papierprozess und schicken E-Mails. Das Rosenheimer Team entscheidet sich auch hier pragmatisch für die Menschen und bearbeitet deren Anliegen auf verkürztem Dienstweg. Denn viele Prozesse funktionieren gar nicht digital und wenn doch, sind sie häufig zu umständlich, vor allem für die vielen Menschen nichtdeutscher Herkunft. „Wenn die erste Hürde kommt, hören die meisten schon auf“, sagt Feuersinger. „Da greifen viele dann doch wieder zum Papier.“