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Partnerschaft macht mündig

19. Oktober 2020

Jobcenter Karlsruhe Logo
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Es gab Zeiten, da hatte Birgit große Angst. Vor ihrem nächsten Termin im Jobcenter, vor den Formularen und vor den Tagen, an denen wieder ein Jobcenter-Umschlag im Briefkasten lag. „Ich war sehr eingeschüchtert“, erinnert sich die heute 63-Jährige, „es war einfach diese Angst vor der Obrigkeit.“

Birgit möchte ihren Nachnamen lieber nicht in diesem Text lesen. Sie sucht nicht die Öffentlichkeit und doch spricht sie bereitwillig über ihre Erfahrungen. Denn die Zeit der Angst ist lange vorüber. Der Grund dafür heißt Ikarus, eine Karlsruher Arbeitslosenberatung, und der Grund heißt auch Estella Götz. Sie leitet Ikarus und hilft Birgit seit Jahren, Behördenbelange zu meistern.

Birgits Kontakt zum Jobcenter beginnt vor mehr als 20 Jahren. Sie ist damals 41 und wird Mutter einer Tochter – danach fasst sie auf dem Arbeitsmarkt nicht wieder Fuß. Birgit erzieht ihre Tochter allein, 15 Jahre betreut sie zudem ihre Mutter. „Alle Termine und Auflagen einzuhalten war sehr schwer für mich“, erinnert sich Birgit. Auch ohne einen Arbeitsplatz hat sie viel Arbeit zu Hause. Sie lebt permanent unter Druck und ist froh, als sie von der Ikarus-Initiative erfährt. Denn hier gibt es Menschen, die geduldig erklären und somit den Druck rausnehmen.

Estella Götz hat immer wieder Klientinnen und Klienten vor sich, die innerlich blockiert sind, weil der Kontakt zum Jobcenter für sie mit Angst verbunden ist. „Die Leute wollen im Umgang mit der Behörde nichts falsch machen“, sagt Götz. „Wenn sie einen Antrag vor sich liegen haben, denken sich viele Erwerbslose: ‚Ein falsches Kreuzchen – und ich kriege kein Geld.‘ Das ist die größte Sorge. 

Diese Sorge nehmen Götz und die anderen Ikarus-Mitarbeitenden schon oft durch ihre Präsenz. Es gibt vielen bereits Sicherheit, wenn ihnen jemand über die Schulter schaut. Doch auch Verständnis ist wichtig. „Zu uns kommen immer wieder Leute, die sich beschweren: ‚Meine Nachbarin bekommt 1.500 Euro und ich viel weniger.‘ Wenn wir ihnen dann die Entscheidungen vom Jobcenter erklären, begreifen es die meisten.“ Durch jahrelange Erfahrung kennt Götz die Gesetze, die ständig neuen Regelungen und auch die Schwachstellen in den Regelwerken.

Ramon Bohn sieht es als seine Aufgabe, Götz auf dem neuesten Stand zu halten. Der Leiter eines Leistungsteams im Jobcenter Karlsruhe hält engen Kontakt zu Ikarus. Er schult das Team der Beratungsstelle, informiert im Falle von rechtlichen Änderungen und neuen Abläufen im Jobcenter. Kurzum: Teamleiter Bohn erläutert der Helferin Götz die Bürokratie, damit sie es an die Besucherinnen und Besucher von Ikarus weitergeben kann.

Die Partnerschaft ist jedoch keine Einbahnstraße. „Unsere Gespräche sind auf Augenhöhe, weil wir seit Jahren zusammenarbeiten“, sagt Bohn. „Der enge Kontakt zu Externen lohnt sich, weil wir eine andere Sichtweise gespiegelt bekommen.“ Denn Ikarus hat einen engen Kontakt zu den Menschen und erkennt generelle Trends: Welche Maßnahmen fehlen, welche sollten verändert werden?

Einige Leistungsberechtigte wickeln alles über Ikarus ab, sagt Bohn ohne ein Gefühl der Konkurrenz. „Viele Menschen schätzen es, wenn eine neutrale Person eingebunden ist“, sagt er. „Wir kriegen manchen Fall schneller bearbeitet, der Kunde bekommt sein Geld für den Lebensunterhalt – und allen ist geholfen.“ Unter dem Strich nehme Ikarus dem Jobcenter Arbeit ab, Widersprüche werden vermieden, meint Bohn. „Es ist keineswegs so, dass wir uns gegenseitig Fehler in die Schuhe schieben.“ 

Die Wertschätzung füreinander ist auf allen Seiten zu spüren. Es passiere nun einmal, dass Leistungen falsch berechnet werden – weil niemand unfehlbar sei, sagt Götz seelenruhig und wählt in so einer Situation die direkte Durchwahl der jeweiligen Teamleitung: „Ich rufe ja nicht den Papst im Jobcenter an, sondern Menschen, mit denen man reden kann.“

Diese nüchterne Einstellung überträgt sich und hilft den Leistungsberechtigten, die sich mit einem starken Partner an ihrer Seite nicht mehr hilflos fühlen. Sie können teilhaben, selbstbewusster werden – trotz vieler Herausforderungen in ihrem Leben. Für Birgit ist die größte Herausforderung momentan die Zukunft ihrer Tochter. Sie kennt Ikarus auch bereits. Doch Birgit wünscht sich eine sorgenfreiere Zukunft für die mittlerweile 21-Jährige. Die Tochter hatte eine Ausbildung bei einem Sicherheitsdienst begonnen, verlor ihre Stelle in der Coronazeit, und nun kam noch eine Operation dazu.

All das verursacht wieder Papierkram, den Birgit viel gekonnter und gelassener als früher meistert. „Ich bleibe dran, bis es fertig ist, und habe Biss“, sagt sie. Inzwischen geht sie vom heimischen Computer aus einer geringfügigen Tätigkeit nach. Außerdem ist sie selbst ehrenamtlich tätig: Sie berät Menschen, die Angehörige pflegen – denn sie selbst hat diese Erfahrung mit ihrer Mutter gemacht. Birgit ist von einer Hilfesuchenden zur Helferin geworden.

Ikarus

… existiert bereits seit 1984 in Karlsruhe. Die Arbeitslosenberatung war ursprünglich ein Verein. 2018 übernahm das Diakonische Werk die Trägerschaft. Die Mitarbeitenden legen Wert auf umfassende Hilfe: Sie beraten, motivieren und begleiten behördenübergreifend zu Terminen. 2019 fanden mehr als 900 Beratungen statt sowie mehr als 650 Termine beim Bewerbungstraining. Im Computerraum können Menschen selbst nach Jobs suchen. In Seminaren lernen sie unter anderem den souveränen Umgang mit Onlinebanking.