Was im Fußball gilt, passt auch für den Alltag der Jobcenter. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Übertragen auf die Jobcenter bedeutet das: Nach der Herausforderung ist vor der Herausforderung. Zwei fordernde Coronajahre liegen hinter den Jobcentern, doch die nächsten großen Lagen befinden sich schon vor ihnen: die Versorgung der Ukraine-Geflüchteten, die starke Inflation und anstehende Reformen wie das Bürgergeld.
Unter diesen Vorzeichen trafen sich die kommunalen Jobcenter Hessens zum ersten Groß-Gerauer Impuls seit der Pandemie. Dazu eingeladen hatte das Hessische Ministerium für Soziales und Integration, durch die Veranstaltung führte Ministerialrat Rolf Keil, Leiter des Referates Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsmarktintegration und -förderung). Eingeladen hatten außerdem der Hessische Landkreistag, der Hessische Städtetag und der Kreis Groß-Gerau. In Hessen sind 16 der 26 Jobcenter zugelassene kommunale Träger.
Teilnehmende aus 16 Jobcentern nutzten die Veranstaltung zum Austausch.
Minister Klose: „Jobcenter tragen zum sozialen Frieden bei“
Landessozialminister Kai Klose kam persönlich nach Groß-Gerau, um den Jobcentern für ihre Leistungen in der Pandemie zu danken. Sie hätten maßgeblich dazu beigetragen, dass die Sozialsysteme funktionierten. „Das war ein enormer Kraftakt“, sagte Klose. „Die Jobcenter haben dafür gesorgt, dass jene Menschen Unterstützung bekommen haben, die am stärksten darauf angewiesen sind.“ Klose erinnerte daran, dass dies ab Juni für die vielen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer gelte. „Ich bin froh, dass die Jobcenter auch bei der Bewältigung dieser neuen Herausforderungen mithelfen. Sie tragen damit aktiv zum sozialen Frieden bei.“
Der hessische Sozialminister Kai Klose würdigte die Arbeit der Jobcenter.
Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales schaltete sich Dr. Klaus Bermig, Leiter der Unterabteilung Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende, per Video zu. Er sagte: „Noch nie hatten wir es im SGB II gleichzeitig mit so vielen Herausforderungen auf einmal zu tun. Noch nie war der Bedarf so groß, sich miteinander abzustimmen.“ Bermig erinnerte daran, dass neben den Geflüchteten, der Inflation und den sozialen Reformen auch die Coronapandemie noch ein prägendes Thema bleibe. Zugleich dürfe das permanente Krisenmanagement nicht bedeuten, dass unser Land auf der Stelle tritt. „Wir müssen Krise und Zukunft zusammendenken“, sagte Bermig.
Jobcenter könne Ukraine-Geflüchteten „über die Schwelle helfen“
Krise und Zukunft im Einklang – unter diesem Stichwort steht aktuell auch die Versorgung von mehreren hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainern. „Die Menschen werden womöglich länger bei uns bleiben, als sie das jetzt selbst momentan planen“, gab Bermig zu bedenken. Es sei deshalb sehr sinnvoll, die Geflüchteten in die Grundsicherung aufzunehmen – denn die Jobcenter hätten die nötige Erfahrung und die passenden Angebote. Für das BMAS sind drei Aspekte wichtig:
● Aussichten am Arbeitsmarkt schaffen: „Viele Türen stehen offen, jetzt gilt es, den Ukrainerinnen und Ukrainern über die Schwelle zu helfen.“ Hierzu müssten Bund und Länder Wege finden, berufliche Qualifikationen aus der Ukraine schnell anzuerkennen.
● Positive Sichtweisen pflegen: „Wir reden hier über Menschen und nicht über Lückenfüller für unseren Arbeitskräftebedarf.“
● Beraten und unterstützen: „Wir müssen gemeinsam verhindern, dass Geflüchtete als billige Arbeitskräfte missbraucht werden.“ Ukrainerinnen und Ukrainer sollten ihre Rechte am deutschen Arbeitsmarkt kennenlernen.
Dr. Klaus Bermig berichtete per Liveschalte aus Berlin von der aktuellen Arbeit des BMAS.
Bermig: „Neue Kultur der Zusammenarbeit in den Jobcentern“
Bermig erinnerte daran, dass sich die Bundesregierung darüber hinaus Großes für die jetzige Legislaturperiode vorgenommen habe. „Im Großen und Ganzen soll das Bürgergeld das Leben der Leistungsberechtigten einfacher machen und eine neue Kultur der Zusammenarbeit in den Jobcentern begründen“, sagte Bermig. Es gehe um mehr Respekt, Vertrauen und Augenhöhe im alltäglichen Umgang. „Das Bürgergeld bedeutet aber ausdrücklich nicht, dass in den Jobcentern bislang schlecht gearbeitet wurde“, betonte er. Es gehe darum, die Zusammenarbeit auf die Höhe der heutigen Zeit zu bringen. Damit verbunden sind weitere Überlegungen:
● Die mögliche Änderung im Vermittlungsvorrang: Das BMAS will die Weiterbildung stärken und Ausbildung vor eine schnelle Jobvermittlung stellen.
● Das Ablösen der Eingliederungsvereinbarung durch eine neue Form der Zusammenarbeit mit den Leistungsberechtigten.
● Die Diskussion über die Abschaffung der Sanktionen.
● Die geplante Einführung einer Kindergrundsicherung.
Die rund 50 Teilnehmenden widmeten sich anschließend in Workshop-Gruppen konkreten Fragen aus ihrer Arbeitspraxis. Das Jobcenter des Main-Kinzig-Kreises gab einen Einblick in seine Arbeitsweise. Constanze Stannull, Tobias Güldenring und Benjamin Häfner nahmen die Teilnehmenden mit auf „eine agile Heldenreise“. Tobias Schneider und Jasmin Rossmann vom Jobcenter des Kreises Groß-Gerau fragten, wie Jobcenter im Wandel der digitalen Informationsvermittlung mithalten können. Jobcenter seien gefordert, einfach und intuitiv auf digitalen Kanälen zu erklären, sagte Schneider. „Verwaltungsdigitalisierung ist eine Monsteraufgabe, die niemals aufhören wird.“ In einem weiteren Workshop stellte Markus Bilgram die laufende Neuausrichtung der Arbeitsvermittlung im Jobcenter Wiesbaden vor. Es organisiert den Arbeitgeberservice, den Vermittlungsservice und das Team 16i um, mehrere Teams sind gerade in neu gestalteten Räumen zusammengezogen.
Michael Eichelsheim gab einen Einblick in die Jobcenter-Arbeit in den Niederlanden.
Vorbild Niederlande: Mit Vertrauen zurück in den Job
Einen Impuls aus den Niederlanden hatte Michael Eichelsheim ins südliche Rhein-Main-Gebiet mitgebracht. Er ist Geschäftsführer des Unternehmens Dariuz, gegründet von der öffentlichen Organisation TNO und zwei niederländischen Jobcentern. Dariuz arbeitet heute für Jobcenter in den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen. Der Schwerpunkt liegt bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung gemeinsam mit Arbeitgebenden. In den Niederlanden setzt das Teilhabe-Gesetz „Participatiewet“ ehrgeizige Ziele: Bis 2026 sollen Behörden und Arbeitgebende 125.000 sogenannte Garantie-Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen (zum Vergleich: die Niederlande haben nur etwa ein Fünftel der Einwohnerzahl Deutschlands). Die Arbeitsplätze werden individuell nach Fähigkeit der Menschen bezuschusst, der Zuschuss wird wenigstens alle zwei Jahre neu festgelegt.
Laut Eichelsheim sei möglichst wenig Bürokratie die Basis für Erfolg, speziell im Umgang mit schwer zu vermittelnden Menschen. „Lassen Sie die Kunden in der komplexen Welt der sozialen Domäne nicht allein, vereinfachen Sie wo möglich.“ Wichtig sei auch, dass Dariuz und die Jobcenter nicht die Einschränkungen der Menschen in den Mittelpunkt stellen: „Unser Fokus liegt auf ihren Potenzialen und Möglichkeiten.“ Die bisherigen Erfahrungen zeigten außerdem, dass es immer hilfreich sei, den Leistungsbeziehenden einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Mit seinem Einblick gab Eichelsheim zugleich einen Ausblick auf den Paradigmenwechsel in den deutschen Jobcentern: Auch sie wollen in Zukunft noch vertrauensvoller fördern, statt zu sanktionieren.
Die hessischen Jobcenter waren beim Impfen ganz vorne mit dabei. Lesen Sie hier , wie der Kreis Offenbach Impfaktionen direkt im Jobcenter anbot und in diesem Artikel , wie das Jobcenter des Main-Kinzig-Kreises die Leistungsberechtigten motivieren konnte.