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Führung braucht Mut und Spielraum 

Wie die Jobcenter-Führung eine Kultur des Ausprobierens etablieren kann, wo ihr Handlungsspielraum endet – und wie sie Digitalisierung dennoch erfolgreich gestaltet. Ein Interview mit dem Arbeitssoziologen Dr. Martin Kuhlmann.

Am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) beschäftigt sich Martin Kuhlmann mit der Digitalisierung der Verwaltungslandschaft.

Herr Kuhlmann, Sie haben in Ihrer Forschung die Digitalisierung in den Jobcentern untersucht. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Martin Kuhlmann: Mit meiner Kollegin Antonia Altendorf war ich in knapp einem Dutzend Jobcentern unterwegs, in drei davon sehr intensiv. Wir haben vor Ort beobachtet und viele Fragen gestellt. Gespräche und Interviews haben wir mit Beschäftigten, Antragstellenden, Geschäftsführungen, Personalräten und Digitalisierungsbeauftragten geführt. Diese Mischung aus direkter Beobachtung und Gesprächen hat es uns ermöglicht, ein breites Bild der Digitalisierung in den Jobcentern zu gewinnen. Wir konnten dabei sehen, welche Handlungsspielräume Geschäftsführungen haben und wie sie mit Anforderungen umgehen.

Was haben Sie herausgefunden – ist ­Digitalisierung wirklich Chefsache?

Martin Kuhlmann: Die Antwort ist: Ja und Nein. Ja, weil ohne das Engage­ment und mutige Initiativen der Geschäftsführung nichts vorangeht. Nein, weil die Geschäftsführungen allein nicht die treibende Kraft sein können, gerade in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert waren und zugleich über einen begrenzten Handlungsspielraum verfügen. Geschäftsführende sind von komplexen, widerstreitenden Anforderungen umstellt – sei es in kommunalen Jobcentern oder in den gemein­­­sa­­men Einrichtungen mit der Bundesagentur für Arbeit. Angesichts knapper investiver Ressourcen und des Personalmangels sind sie absolut nicht zu beneiden.

Welche Faktoren prägen die Handlungsspielräume der Jobcenter-Führung besonders?

Martin Kuhlmann: In Jobcentern des Typs gemeinsame Einrichtung ist die Bundesagentur für Arbeit ein zentraler Akteur – sie bringt Ressourcen, IT-Systeme und Standards, setzt aber manchmal auch enge Rahmenbedingungen. Ein Beispiel: In vielen Jobcentern fehlt WLAN für die Leistungs­beziehenden, was viele als hinderlich empfinden. Daneben spielt in allen Jobcentern auch die Kommune eine Rolle – ihre Haltung zur Digitalisierung beeinflusst, wie viel Gestaltungsspielraum Geschäftsführungen haben. Weitere entscheidende Faktoren sind die Personal­ressourcen und eine Verwaltungskultur, die oft wenig Erfahrung mit aktiver Gestaltung von organisationalem Wandel hat. Change-Management und Prozess­opti­mierung sind in der öffentlichen Verwaltung keine fest verankerten Bestandteile, anders als in der Privatwirt­schaft. Auch das Führungsverständnis unterscheidet sich: Es geht stärker um Personalführung und Fachaufsicht, weniger um Organisationsentwicklung.

So verortet sich Dr. Kuhlmann auf der Digitalisierungsfan-Skala.

Manchmal stoße ich im Alltag auf digitale Prozesse, die nicht richtig funktionieren und Zusatzaufwand produzieren, das ist dann ärgerlich. Insgesamt finde ich aber, dass Digitalisierung oft eine enorme Erleich­terung mit sich bringt. Viele meiner Aufgaben als Sozial­wissen­schaftler wären etwa ohne Konferenz- und Kommunika­tionstools oder Transkriptionssoftware schlicht kaum noch bewältigbar.

Wie können Geschäftsführende in diesem komplexen Umfeld etwas bewirken?

Martin Kuhlmann: Erstens: Sie müssen sich mit den konkreten Prozessen in ihrem Haus beschäftigen. Zweitens: Sie brauchen eine Kultur des Ausprobierens, gemeinsam mit den Beschäf­tigten. Drittens: Sie müssen Ressourcen aktivieren – intern und extern, etwa in der Kommune. Dabei geht es nicht um die perfekte Lösung von Anfang an. Kleine Schritte, Pilotprojekte – die sind häufig zielführender. Ein erfolgreiches kommunales Jobcenter auf dem Land, das wir kennenlernen durften, startete zum Beispiel mit einem neuen digitalen Angebot zunächst in einer Geschäftsstelle. Erst später wurde die neue Arbeitsweise flächendeckend ausgerollt. Wichtig ist auch, ein gutes Team für Digitalisierungsvorhaben zu bilden und dieses mit Ressourcen auszustatten. In diesem arbeiten Beschäftigte mit Prozesswissen aus dem Jobcenter-Alltag mit Personen zusammen, die das technische Know-how mitbringen.

Wie lässt sich das Thema sinnvoll in der ­Struktur des Jobcenters verankern?

Martin Kuhlmann: Idealerweise schafft die Geschäftsführung im Jobcenter ein arbeitsfähiges Gremium, das sich regelmäßig trifft und das aus Mitarbeitenden verschiedener Hierarchieebenen besteht – dazu gehören die Kernbereiche genauso wie Führungskräfte und der Personalrat. Es sollte kein reines Entscheidungsgremium sein, sondern ein Gestaltungs­team. Einige von uns untersuchte Jobcenter haben offen gefragt: Wer möchte mitmachen? Und es fanden sich engagierte Mitarbeitende. Mitunter liegt zu viel Auf­merksamkeit auf Hard- und Software – auch finanziell – und es wird zu wenig in die Organisation investiert. Wichtig ist auch, andere Perspektiven einzubeziehen – Leistungsbeziehende selbst oder Personen von Hilfeeinrichtungen wie der Caritas.

Sollten die Geschäftsführenden eigentlich auch selbst Digitalisierungs-Nerds sein?

Martin Kuhlmann: Nein, das müssen sie nicht. Und es reicht auch nicht, sich gut mit dem Thema auszukennen. Viel wichtiger ist es, offen zu sein, andere einzubinden, Weiterentwicklung zu ermöglichen und Informationen aus der eigenen Beleg­schaft aufzunehmen. Manchmal ist es sogar besser, wenn Geschäftsführende nicht zu weit voraus sind – so können sie die Impulse aus dem Team leichter aufnehmen und gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestalten.

Hintergrund

Dr. Martin Kuhlmann ist Direktor des Soziologischen Forschungs­instituts Göttingen (SOFI) und forscht seit vielen Jahren zum Wandel und zur Digitalisierung der Arbeitswelt – auch ­in Jobcentern. Mehr über die Forschungsprojekte des SOFI erfahren Sie in unserem Interview mit Martin Kuhlmann und seiner Kollegin Antonia Altendorf.

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