Wie ist die Idee zur Quartiersarbeit entstanden und was unterscheidet diesen Ansatz von der regulären Arbeit im Jobcenter?
Marcel Rüttgers: „Die Idee entstand vor dem Hintergrund, dass viele Menschen den Weg ins Jobcenter nicht mehr finden oder Hemmungen haben, dort hinzugehen. Wir wollten einen niedrigschwelligen Zugang schaffen und sind deshalb direkt in die Quartiere gegangen, um individuelle Beratung vor Ort anzubieten.“
Nicole Barth: „Im Unterschied zur regulären Arbeit im Jobcenter, bei der Leistungsberechtigte zu uns kommen müssen, gehen wir nun direkt auf die Menschen zu. Das ermöglicht uns, individueller und persönlicher zu beraten und mehr Zeit für ihre Anliegen zu haben. Das ist bei einem normalen Jobcenter-Termin oft schwierig, da diese eng getaktet sind.“
Warum verlieren Leistungsbeziehende manchmal den Kontakt zum Jobcenter und wie reagieren die Menschen auf das Angebot?
Marcel Rüttgers: „Menschen verlieren den Kontakt zum Jobcenter aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel wegen schlechter Erfahrungen oder gesundheitlichen Problemen, insbesondere psychischen Ängsten. Das Jobcenter kann eine stressige Atmosphäre erzeugen, und nicht jeder fühlt sich dort willkommen. Wenn wir jedoch direkt in die Quartiere gehen, können wir ein Umfeld schaffen, das den Menschen hilft, wieder Vertrauen aufzubauen.“
Nicole Barth: „Unser Angebot wird sehr positiv aufgenommen. Die Menschen schätzen es, dass wir vor Ort sind und ihnen zuhören. Sie fühlen sich weniger gestresst und haben das Gefühl, dass wir ihnen persönlich zur Seite stehen. Das hilft, Barrieren abzubauen und den Kontakt zum Jobcenter langfristig zu erhalten.“
Wie läuft ein typischer Termin im Quartier ab und welche Hürden begegnen Ihnen bei der Arbeit vor Ort?
Nicole Barth: „Die Termine bei uns im Quartier sind unterschiedlich. Wir haben feste Tage, an denen wir vor Ort sind, in der Regel der erste und dritte Dienstag im Monat oder auch Samstage. An diesen Tagen können die Menschen ohne festen Termin vorbeikommen. Manche Gespräche dauern nur 15 bis 30 Minuten, vor allem bei kurzen Fragen oder einfachen Beratungen.“
Marcel Rüttgers: „Bei komplexeren Anliegen, wie der Prüfung von Unterlagen, kann ein Gespräch auch über eine Stunde dauern.“
Nicole Barth: „Am Anfang war es oft eine Herausforderung, Vertrauen aufzubauen, da nicht jeder sofort offen für unsere Hilfe war. Aber mittlerweile kommen immer mehr Menschen, und das Angebot wird zunehmend angenommen.“
Marcel Rüttgers: „Manchmal gibt es organisatorische oder räumliche Schwierigkeiten, zum Beispiel wenn die Menschen nicht wissen, dass wir offene Sprechstunden anbieten. Wir müssen Geduld haben und konsequent dranbleiben, um diese Hürden zu überwinden. Aber mit Ausdauer und der Unterstützung unseres Teams kommen wir immer besser voran.“
Was sollten andere Jobcenter beachten, die ein ähnliches Projekt starten möchten, und wie lange läuft Ihre Quartiersarbeit schon?
Nicole Barth: „Wichtig ist, dass das Projekt gut im Team abgestimmt ist und dass es Rückendeckung von der Leitungsebene gibt. Denn: Ohne die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen und der Geschäftsführung wäre das nicht möglich. Ebenso entscheidend ist die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, um das Vertrauen der Menschen im Quartier zu gewinnen und das Angebot dort zu etablieren. Wir müssen dorthin gehen, wo unsere Leistungsbeziehenden sich aufhalten und ihre Bedürfnisse kennen, wie zum Beispiel in ein öffentliches Stadtteilcafé oder einen anderen Treffpunkt der Gemeinschaft.“
Marcel Rüttgers: „Unsere Quartiersarbeit läuft seit etwa neun Monaten, startete aber bereits Anfang 2023 mit Pilotprojekten an verschiedenen Orten, um Bedarfe und passende Formate zu ermitteln. In der gesamten Zeit haben wir viel erreicht und wichtige Erfahrungen gesammelt. Wir haben vor Allem gelernt, wie wichtig Ausdauer und eine gute Vermarktungsstrategie sind. Durch die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und die Unterstützung im Team konnten wir das Projekt kontinuierlich weiterentwickeln.“
Warum ist es so wichtig, direkt im Quartier präsent zu sein, und gibt es eine besondere Erfolgsgeschichte, die Ihnen bei der aufsuchenden Beratung in Erinnerung geblieben ist?
Marcel Rüttgers: „Es ist immer wieder schön zu sehen, dass die Menschen nach einem Termin zufrieden sind, sich verstanden und unterstützt fühlen. Ein Beispiel, das mir im Kopf geblieben ist, war eine Leistungsbeziehende, die mit ihren Unterlagen überfordert war. Wir konnten ihr helfen, alles zu ordnen und zu verstehen. Danach war sie sehr erleichtert und konnte ihre Angelegenheiten viel besser regeln. Das sind die Momente, die uns zeigen, wie wertvoll unsere Arbeit ist.“
Nicole Barth: „Viele Menschen haben Hemmungen, ins Jobcenter zu gehen. Wenn wir aber vor Ort sind, können wir diese Barrieren abbauen. Wir schaffen Vertrauen und können den Menschen schneller und unkomplizierter helfen. Diese Nähe ermöglicht es uns, viel effektiver zu arbeiten und verbessert die Chancen für alle Beteiligten.“
Marcel Rüttgers: „Diese niedrigschwelligen Angebote sind für viele Städte wichtig, denn bei der Beratung im Quartiert können wir den Menschen helfen, die sonst vielleicht keinen Kontakt zum Jobcenter hätten. Ich denke, andere Jobcenter sollten diese Herangehensweise unbedingt ausprobieren, um eine breitere Zielgruppe zu unterstützen.“
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