Sie haben im September Ihre Antrittsbesuche in den fünf Standorten des Lübecker Jobcenters auch genutzt, um über das Bürgergeld zu sprechen. Wie genau haben Sie das gemacht?
Christian Saar: Ich habe bei diesen Besuchen ein Setting gewählt, das nicht einer klassischen Dienstbesprechung entspricht. Bei Dienstbesprechungen sind die Rollen mit dem Betreten des Raums meist schon vergeben. Ich wollte mit den Kolleginnen und Kollegen in einer aufgelockerten Atmosphäre auf Augenhöhe ins Gespräch kommen. Dazu haben wir Bistro-Tische aufgebaut und konnten einander in dieser Atmosphäre zwangloser begegnen. Das hat sehr gut funktioniert. Für meine Kolleginnen und Kollegen war dabei natürlich auch das Bürgergeld von großem Interesse.
Wie haben Sie die Stimmung der Mitarbeitenden beim Thema Bürgergeld wahrgenommen?
Christian Saar: Im September waren gerade die Referentenentwürfe des Gesetzes bekannt. Für alle Kolleginnen und Kollegen war das Thema dadurch präsent, egal in welcher inhaltlichen Tiefe sich jede und jeder damit bereits beschäftigt hatte. Wichtig war mir, aufzuzeigen, warum das Bürgergeld in der aktuellen Zeit eine notwendige Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung und die Herausforderungen des Arbeitsmarktes sein kann. Mir ging es also darum, das Warum näher zu beschreiben. Das ist für mich der zentrale Punkt, um den sich alles dreht, damit wir bei der Einführung des Bürgergeldes in den folgenden Monaten das Wie und Was effektiv mitgestalten können.
Wie sind Sie vorgegangen?
Christian Saar: Ich wollte nicht abstrakt bleiben. Deshalb habe ich das Koexistenz-Modell genutzt. Dabei wird visuell dargestellt, dass sich jede Organisation in einem gesellschaftlichen Umfeld befindet und was passiert, wenn dieses sich ändert. Stellen Sie sich das so vor: Ich habe auf ein Flipchart ein Viereck mit einem Punkt in der Mitte gezeichnet. Das Viereck symbolisiert die Rahmenbedingungen und der Punkt die Organisation. Verschiebt sich das Viereck, verändert sich auch die Position des Punktes innerhalb des Vierecks. Und das ist in den letzten Jahren bei uns in den Jobcentern passiert – die Rahmenbedingungen haben sich geändert und nun muss sich auch die Arbeit des Jobcenters weiterentwickeln.
Welche Rahmenbedingen meinen Sie damit konkret?
Christian Saar: Die Herausforderungen, die wir seit 2005 gemeistert haben, als über fünf Millionen Menschen arbeitslos waren und Deutschland auch schonmal als „kranker Mann Europas“ bezeichnet wurde. In diesem Moment trat das SGB II in Kraft. Heute stehen wir einerseits vor der Herausforderung, dass wir Fachkräfte-Bedarfe haben, die wir nicht immer decken können. Und andererseits haben wir Menschen, die schon lange auf die Unterstützung der Grundsicherung angewiesen sind und daher eine neue Form der Hilfe benötigen. In diesem Kontext ist es folgerichtig, die Art und Weise des Auftrages neu zu justieren. Das Bürgergeld ist dafür eine Chance.
Das betrifft die Jobcenter im Allgemeinen. Wie haben Sie die Mitarbeitenden individuell abgeholt?
Christian Saar: Ich habe eine Situation gewählt, die viele Beschäftigte in den Jobcentern sehr gut kennen. Ich habe sie gedanklich in eine Urlaubsreise versetzt und gefragt: Was passiert eigentlich, wenn man am Abendbrottisch gefragt wird, was man beruflich so mache? Viele kannten das und wussten, dass es sich nicht immer gut anfühlt, preiszugeben, in welcher Branche man tätig ist. Wenn sie das Wort Jobcenter hören, entstehen bei vielen Menschen sofort negative Hartz-IV-Stereotypen im Kopf. Dabei leisten die Kolleginnen und Kollegen hier wirklich jeden Tag ihren Beitrag dazu, dass der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gewahrt bleibt. Und das mit größtem Einsatz. Das negative Bild trifft aber nicht nur die Kolleginnen und Kollegen. Es trifft völlig unberechtigt viele Menschen, die auf die Unterstützung der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen sind. Mit dem Bürgergeld können wir diese negativen Stereotypen überwinden.
Welche Sorgen, Bedenken und Kommentare der Mitarbeitenden haben Sie von den Gesprächen noch im Ohr?
Christian Saar: Die Einführung des Bürgergeldes ist ein Veränderungsprozess. Das dürfen wir nicht unterschätzen. Es geht im ersten Schritt darum, dass die Jobcenter Zeit zur Vorbereitung brauchen. Die Kolleginnen und Kollegen werden Fachliches neu lernen müssen und brauchen Zeit, darin Sicherheit zu erlangen. Und sie müssen Sicherheit erlangen, die neuen Möglichkeiten für unsere Kundinnen und Kunden gut zu nutzen. Wie gestalten wir beispielsweise die Vertrauenszeit? Wie funktioniert das mit den Weiterbildungsmöglichkeiten, mit der Prämie, mit dem Bonus? Konkret heißt das: Es gibt Schulungsbedarf.
Was sind für Sie in Bezug auf die Einführung des Bürgergeldes die nächsten Schritte in Lübeck?
Christian Saar: Jetzt geht es erst einmal darum, die weiteren Schritte des Gesetzgebungsverfahrens abzuwarten und bei Bedarf zu kommunizieren. Im zweiten Schritt werden wir entsprechende Schulungsintervalle anbieten. Und dann planen wir ein hierarchieübergreifendes Gremium, bestehend aus Mitarbeitenden und Führungskräften, die die Einführung begleiten und schauen: An welchen Stellen gelingt uns etwas gut und an welchen Stellen müssen wir noch nachschärfen? Wichtig ist mir dabei, dass dieses Gremium oder die Arbeitsgruppe aus Mitarbeitenden besteht, die das Bürgergeld an ihren Schreibtischen mit den Kundinnen und Kunden mit Leben füllen wollen. Auf diese Art und Weise möchte ich dann gerne erfahren, wie gut das Bürgergeld in unserem Alltag ankommt. Ich möchte meinen Kolleginnen und Kollegen sehr gerne die Gelegenheit geben, sich bei dieser Veränderung einbringen zu können und deren Expertisen für einen bestmöglichen Start des Bürgergeldes zu nutzen.
Welche internen Kommunikationswege nutzen Sie?
Christian Saar: Wir haben beispielsweise einen wöchentlichen Kurzüberblick per E-Mail, den Jobcenter-Ticker, der jeden Freitag an alle Mitarbeitenden geht und einige Informationen darüber enthält, was in der Woche oder in der nächsten Woche wichtig war und wichtig wird. Damit können wir spontan und flexibel reagieren und Transparenz beweisen. Daneben haben wir eine eigene Jobcenter-Zeitung, die quartalsweise erscheint. Auch hier können wir das Bürgergeld situativ zum Schwerpunktthema machen. Dann haben wir die klassische Kommunikation über die Führungskräfte. Und was ich gerne häufiger in der Zukunft nutzen möchte, sind kollektive Formate wie Personalversammlungen, Mitarbeitendenversammlungen oder auch unsere Stehtischrunden. So entsteht ein direkter Austausch mit meinen Kollegen und Kolleginnen.