Herr Singer, welche Rolle spielt die Digitalisierung aktuell im Jobcenter Main-Kinzig-Kreis und wie verbessert sie konkret den Service für Bürgerinnen und Bürger?
Jewgenij Singer: Die Digitalisierung im Jobcenter spielt eine zentrale Rolle für unsere strategische Entwicklung. Ein Ziel ist es, personelle Ressourcen zu entlasten – auch mit Blick auf den demografischen Wandel. Durch KI-gestützte Prozesse können Aufgaben effizienter erledigt werden. Gleichzeitig steigen die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an digitale Services, auch weil sie es aus dem Alltag mit Plattformen wie Amazon oder Zalando gewohnt sind. Das sehen wir als Chance, unseren Service zu verbessern: Bürgerinnen und Bürger sollen schneller an Unterlagen, Informationen oder Antworten kommen. Unser Ziel ist es, die Qualität unserer Angebote zu erhöhen und mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten – insbesondere mit Blick auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Was hat es mit dem Pilotprojekt rund um den KI-gestützten Voice-Chatbot auf sich und welches Ziel verfolgen Sie damit im Jobcenter-Alltag?
Jewgenij Singer: Der KI-gestützte Voice-Chatbot wird derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts getestet, das seit zwei Wochen läuft und noch einige Wochen andauern soll. Er kommt außerhalb der Geschäftszeiten zum Einsatz – also dann, wenn unsere Mitarbeitenden nicht erreichbar sind. Bürgerinnen und Bürger, die in dieser Zeit anrufen, werden automatisch an den Bot weitergeleitet. Dieser beantwortet dann Fragen und versucht, Anliegen zu klären, soweit dies technisch möglich ist.
Der Chatbot läuft also in einer realen Umgebung im Testmodus. Ein spezielles internes Team wertet die generierten Fragen und Antworten anschließend systematisch fachlich und im Hinblick auf die Nutzerfreundlichkeit aus. Trotz der kurzen Laufzeit haben wir bereits viele Anrufe erhalten und konnten eine große Zahl von Dialogen analysieren. In ein bis zwei Wochen werden wir ausreichend Daten gesammelt haben, um fundierte Aussagen zu treffen. Aber schon die bisherigen Ergebnisse zeigen: Der Chatbot wird gut angenommen.
Wie entstand die Idee zum Projekt – und wie wurde die Umsetzung organisiert und begleitet?
Jewgenij Singer: Die Idee zu einem KI-gestützten Chat- und Voicebot gibt es bereits seit vier bis fünf Jahren. Erste Pilotprojekte der
hessischen Jobcenter hatten jedoch mit technischen Hürden zu kämpfen – etwa, weil die Technologie damals noch nicht ausgereift war. Der ursprüngliche Chatbot funktionierte nur mit festen Frage-Antwort-Paaren. Das Problem in der Praxis: Nutzerinnen und Nutzer formulierten ihre Anliegen ganz anders, als es die Entwickler erwarteten. Neben den technischen Herausforderungen mussten auch rechtliche und organisatorische Fragen geklärt werden, zum Beispiel: Wer übernimmt die Projektsteuerung? Wie lassen sich die unterschiedlichen Gegebenheiten der kommunalen Jobcenter berücksichtigen? Genau an diesem Punkt kam die K4K ins Spiel: Die Arbeitsgemeinschaft der hessischen kommunalen Jobcenter beschloss, sie als zentrale Umsetzungseinheit für solche Vorhaben zu nutzen. Damit wurde eine rechtlich abgesicherte Struktur geschaffen, die auch die operative Projektleitung übernimmt. Das Projekt rund um den Voicebot war eines der ersten großen Vorhaben, das wir unter dieser neuen Struktur mit generativer KI neu aufgesetzt und erfolgreich umsetzen konnten. Aus einer alten Idee wurde so ein zukunftsfähiges Gemeinschaftsprojekt.
Wie sieht der zukünftige Entwicklungsplan aus, und wird der Chatbot kontinuierlich weiterentwickelt?
Jewgenij Singer: Die Weiterentwicklung des Chatbots ist bereits geplant, auch wenn noch nicht alle Details feststehen. Ein wichtiger Schritt wird sein, den Bot mehrsprachig verfügbar zu machen. Damit möchten wir Menschen erreichen, die Deutsch noch nicht sicher beherrschen. Ziel ist es, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen auch in ihrer Muttersprache klären können – ganz ohne Sprachbarriere.
In Hessen übernimmt jedes kommunale Jobcenter dabei die Verantwortung für eine bestimmte Sprache, um gezielt auf die Bedarfe vor Ort eingehen zu können.
Welche weiterführenden Ziele verfolgen Sie mit dem Chatbot-Projekt, sowohl in Bezug auf die Bürgerkommunikation als auch auf den internen Einsatz im Jobcenter?
Jewgenij Singer: Das Pilotprojekt ist für uns nur ein erster kleiner Schritt auf dem Weg zu einer umfassenderen Lösung: einem Chatbot, der künftig auch personenbezogene Anliegen bearbeiten kann.
Derzeit arbeitet der Bot rein generativ, das heißt ohne Zugriff auf personenbezogene Daten. Wir entwickeln aktuell eine sichere Verbindung zur Datenbank der Leistungsberechtigten sowie ein System zur Identifikation und Legitimation. Damit könnte der Bot künftig auch sensible Fragen beantworten – selbstverständlich unter strikter Einhaltung aller Datenschutzvorgaben. Auch intern wollen wir KI stärker einsetzen. Zum Beispiel mit einer Diktierlösung, die es Mitarbeitenden ermöglicht, Informationen per Spracheingabe zu erfassen – oder mit automatischer Gesprächsprotokollierung, die dann datenschutzkonform in die Fallakten überführt wird. Langfristig denken wir in Richtung digitaler Assistenzsysteme für Mitarbeitende, mit denen sie durch automatisierte Prozesse ihre Arbeitsabläufe effizienter gestalten können. Jede Kollegin und jeder Kollege könnte einen eigenen, mit Fachwissen gespeisten Chatbot nutzen – etwa für den schnellen Zugriff auf Handbücher oder interne Regelungen. Ich selbst nutze bereits einen Prototypen, der mir Informationen zu Digitalisierung, Datenschutz oder Sicherheitsvorgaben bereitstellt inklusive Quellenangabe. Das spart viel Zeit und stellt eine erhebliche Entlastung für die tägliche Arbeit dar.
Neugierig geworden?
Im Praxisblick berichten wir, wie durch interkommunale Kooperation und KI-gestützte Lösungen wie Chatbots nachhaltige Verbesserungen im SGB II erreicht werden.