Herr Wacker, Ihr kommunales Jobcenter hat Innovationsräume eingeführt. Worum geht es dabei?
Jochen Wacker: „In unseren Innovationsräumen, die zwischen Dezember 2023 und September 2024 stattfanden, schaffen wir Freiraum für Mitarbeitende, damit diese kreativ die aktuelle Weiterentwicklung unseres Jobcenters sowie unserer Dienstleistungen und auch digitalen Angebote vorantreiben können. Es gibt dabei Innovationsräume mit unterschiedlichen Settings – sowohl mit einer externen Moderation einer Wirtschaftsinitiative als auch künftig rein intern mit unserem Personal. Wir wollen auf diese Weise eine Vision entwickeln und entscheiden, wie wir das Jobcenter Stuttgart weiterentwickeln. Diese Vision – bisher haben wir die als „Jobcenter 2030“ bezeichnet – soll Entscheidungstragenden Orientierung bieten und den Mitarbeitenden Sinnzusammenhänge vermitteln. Wir halten darin zum Beispiel fest, dass wir ein Arbeitsumfeld schaffen wollen, das Spaß macht und den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerecht wird. Und dass wir die Perspektive der Betriebe, digitale Entwicklungen, rechtliche Vorgaben und die Wirksamkeit unserer Arbeit berücksichtigen. Am Ende profitieren von den Innovationsräumen dann zum Beispiel die Leistungsberechtigten, etwa durch verbesserte Angebote. Zudem haben wir jetzt auch eine Stabsstelle für Innovationsmanagement eingerichtet. Erste Projekte aus den Innovationsräumen wie Erklärvideos für Mitarbeitende und soziale Netzwerke für Leistungsberechtigte laufen bereits.“
Frau Meyer, Sie haben selbst an den Innovationsräumen teilgenommen und seit Oktober 2024 die neue Stabsstelle inne und verantworten dadurch deren Weiterentwicklung. Was haben Sie dabei gelernt?
Jessika Meyer: „Die Teilnahme war eine sehr gute Erfahrung. Besonders gefallen hat mir der 'bottom up-'Ansatz, bei dem Mitarbeitende aus allen Bereichen gemeinsam an Lösungen arbeiten. Die Workshops boten neue Perspektiven auf unser Jobcenter und die Leistungsbeziehenden, besonders durch die Methoden wie Personas und 'Job to be done'. Personas sind fiktive Personen einer gewünschten Zielgruppe. Sie repräsentieren reale Personen, die eine Biografie, Wünsche und Ziele haben. 'Job to be done' ist ein Konzept dessen Ziel es ist, die Bedürfnisse der Leistungsbeziehenden besser zu verstehen und Dienstleistungen zu entwickeln, die diese Bedürfnisse effektiv erfüllen. Das Gefühl, aktiv an der Zukunft unseres Jobcenters mitzuarbeiten, war sehr motivierend. Auch in den Pausen ging es immer darum, wie wir unser Jobcenter zukunftsfähig machen. Indem ich jetzt die Weiterentwicklung dieses Formats betreue, bleibe ich am Puls der Zeit und verankere gemeinsam mit einem engagierten Team die Innovationsräume langfristig.“
Was sagen andere Mitarbeitende zu den Innovationsräumen?
Jochen Wacker: „Die Resonanz der Teilnehmenden war durchweg positiv. Viele freuten sich über den offenen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Bereichen und der Leitungsebene. Die Workshops boten Raum für Ideen, Kritik und neue Impulse außerhalb des gewohnten Arbeitsumfeldes. Die Mitarbeitenden schätzten besonders die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen. Das große Interesse und die Bewerbungen für weitere Durchgänge zeigen: Das Format wird angenommen. Wichtig ist jetzt, Ergebnisse sichtbar zu machen. denn nur so bleibt das Konzept glaubwürdig.“
Welche weiteren Entwicklungen und Ziele haben Sie mit Hilfe der Innovationsräume für Ihr kommunales Jobcenter definiert?
Jochen Wacker: „Ein nächster Schritt ist, die Innovationsräume stärker in unseren Gesamtprozess zur nachhaltigen Entbürokratisierung einzubinden. Das Thema kam in allen Innovationsräumen immer wieder auf. Weil es bei diesem Gesamtprozess um vier Handlungsfelder geht – Digitale Transformation und Automatisierung, Optimierung interner Prozesse, Internationale Best Practices wie dem One-Stop-Shop-Ansatz zur Bündelung von Leistungen oder Serviceorientierung – wird es auch im nächsten Innovationsraum um eines dieser Felder gehen."
Haben die Innovationsräume die Arbeit im Jobcenter verändert?
Jessika Meyer: „Ja, meinen Arbeitsalltag haben sie spürbar verändert. Ein gutes Beispiel ist unser Innovationsraum-Projekt „Videos & Tutorials“, das direkt aus den Ideen des Formats hervorgegangen ist. Innerhalb kurzer Zeit haben wir bereits zwei Erklärvideos für Mitarbeitende produziert, die komplexe Inhalte verständlich aufbereiten. Das Feedback war durchweg positiv und die Videos ein echter Mehrwert. Insgesamt drei Projekte sind aus den Innovationsräumen entstanden: die Videoreihe, die zunächst Erklärung für Mitarbeitende bietet und zu einem späteren Zeitpunkt, mit mehr Erfahrung, auch für die Leistungsbeziehenden ausgebaut werden soll, der Aufbau sozialer Netzwerke für Leistungsbeziehende – eingebunden in ein laufendes BMAS-Projekt – und die stärkere Verankerung unseres Leitbilds. Was mich besonders freut: Die Innovationsäume sind fest im Haus etabliert. Das haben die konstant hohen Bewerbungszahlen zur Teilnahme gezeigt. Viele Mitarbeitende möchten sich aktiv einbringen. Ein Impuls aus dem ersten Innovationsraum ist mir besonders wichtig: die sogenannte Effectuation-Methode. Sie hat uns gezeigt, dass wir nicht auf ideale Voraussetzungen warten können, sondern mit dem starten müssen, was vorhanden ist, also Wissen, Netzwerk und Engagement. Man plant also nicht alles bis ins letzte Detail voraus, sondern geht Schritt für Schritt vor, beobachtet, was funktioniert, und passt den Kurs flexibel an. Gerade für uns als kommunales Jobcenter ist das ein praxisnaher und motivierender Ansatz, um Veränderungen nach und nach umzusetzen.
Gleichzeitig arbeite ich an einem Konzept zur nachhaltigen Entbürokratisierung im Jobcenter Stuttgart, das ebenfalls auf dem immer wiederkehrenden Wunsch nach Vereinfachung aus den Innovationsräumen aufbaut. Auch in diesem Projekt planen wir künftige Workshops gezielt entlang konkreter Themen aus der Basis – die von den Kolleginnen und Kollegen benannt werden.“
Frau Meyer, wie stellen Sie sich einen idealen Arbeitsplatz im Jobcenter der Zukunft vor?
Jessika Meyer: „Mein Arbeitsplatz im Jobcenter der Zukunft ist für mich ein flexibler, digital vernetzter und kollaborativer Ort, an dem ich mich wohlfühle. Denn ich bin überzeugt, dass eine inspirierende Umgebung die Qualität der Arbeit unmittelbar beeinflusst. Genauso entscheidend ist eine zuverlässige digitale Infrastruktur. Mit künstlicher Intelligenz entsteht dann echter Fortschritt. Damit wir das Potenzial von KI sinnvoll nutzen können, braucht es gezielte Schulungen für alle Mitarbeitenden. Ich sehe darin große Chancen: effizientere Abläufe, noch serviceorientiertere und klarere Kommunikation mit den Leistungsberechtigten und mögliche neue Freiräume für gute, wirksame Arbeit. In unseren Innovationsräumen können wir solche Entwicklungen künftig mitdenken und mögliche Pilotprojekte erproben.“
Hintergrund
Jochen Wacker hat die Innovationsräume im kommunalen Jobcenter Stuttgart initiiert, Jessika Meyer leitet sie gemeinsam mit ihm in einem fünfköpfigen Team. Ziel ist es, spürbare Entlastung im Alltag zu schaffen und das Jobcenter zukunftsfähig weiterzuentwickeln mit positiver Wirkung für Leistungsberechtigte sowie Mitarbeitende. Mehr dazu finden Sie im Jahresbericht 2023 des Jobcenters.
Neugierig geworden?
Im Praxisblick erzählen wir spannende Geschichten zu den laufenden Digitalisierungsprozessen in den Jobcentern.
Mit unserem Newsletter verpassen Sie keine Artikel mehr. Jetzt anmelden!