Auch dieses Interview findet per Videoanruf statt. Das ist schön flexibel, aber ist diese Form der digitalen Kommunikation wirklich effizient?
Thomas Meuche: Sie ist super effizient. Darin liegt aber auch gleich ihr Nachteil, weil durch lauter Effizienz sehr viele Dinge wegfallen, die für gute Kommunikation wichtig sind. Zum einen entfällt bei Online-Meetings der Austausch zwischen den Teilnehmenden vor und nach dem Treffen. Viele Informationen, die sonst auf informellem Wege ausgetauscht würden, gehen dabei verloren. Ein weiterer Punkt, der auch für Jobcenter nicht zu vernachlässigen ist, ist das Thema Gestik. Digital funktioniert dieser Kommunikationskanal nicht. In einem Videogespräch sehe ich die Körpersprache nicht.
Wie lässt sich ein Videogespräch – auch wenn es einen formellen Inhalt hat – trotz digitaler Distanz etwas persönlicher gestalten?
Durch einen größeren Bildausschnitt, der nicht mehr auf Brusthöhe endet, sondern auch den unteren Teil des Körpers und die Hände mit einfängt. So wären zumindest Aspekte wie Körperhaltung und Kleidung sichtbar. Auch wenn man diese Bereiche in Gesprächen meist nicht bewusst wahrnimmt, wird dadurch etwas transportiert.
Wann sollten Jobcenter nach Ihrer Erfahrung den Leistungsberechtigten Videokommunikation anbieten – und in welchen Fällen ganz bewusst zu einem Gespräch in Präsenz einladen?
Vor-Ort-Gespräche sind sinnvoll, wenn man sich intensiver mit der Person auseinandersetzen muss – beispielsweise, um sich ein Bild von der physischen oder psychischen Verfassung machen zu können. Außerhalb der Sicherheit der eigenen vier Wände ändern sich die Körpersignale. In Präsenz ergibt sich entsprechend ein anderer Personenbezug, der digital so nicht möglich ist. Wenn es aber darum geht, kurz Rücksprache zu halten oder eine Frage zu klären, bietet die Videokommunikation deutlich mehr Flexibilität. Auch der Zeitaufwand ist geringer, und es lässt sich leichter in kürzeren Abständen in Kontakt bleiben.
Nun geht es im Beratungsalltag regelmäßig um sehr persönliche Themen. Wie gelingt der Spagat zwischen einer offenen Kommunikation, die zu einer guten Beratung dazu gehört, und einer datenschutzkonformen Kommunikation?
Je nach genutztem Kommunikationstool können die Datenschutzrichtlinien für Diskussion sorgen – etwa, wie es um die Weitergabe von personenbezogenen Daten bestellt ist. Dieses Thema ist natürlich nicht unproblematisch. Generell sollten wir uns aber fragen, welches Ziel wir mit der digitalen Entwicklung verfolgen, und ob wir am Ende etwas gewinnen, wenn der Datenschutz so ausgelegt wird, dass letztlich nichts mehr gestattet ist. Es kann doch nicht die Maßgabe sein, dass wir immer erst drei Jahre über potentielle Hindernisse diskutieren, die sich ergeben könnten. Jobcenter sind aber auch über das Digitale hinaus sehr kreativ, wie ich bei einer Veranstaltung der Reihe „Qualitätsarbeit im SGB II“ erfahren durfte. Jobcenter haben beispielsweise während des ersten Lockdowns Spaziergänge organisiert, um die persönliche Beziehung zu den Leistungsberechtigten nicht abbrechen zu lassen.
Sie lehren „Digitale Verwaltung“ in einem berufsbegleitenden Bachelorstudiengang. Was sind die Top-Fähigkeiten, die Mitarbeitende heute entwickeln müssen, um die Digitalisierung im Jobcenter zu meistern?
Es braucht ein Grundverständnis für Daten – in allen Organisationen, im Jobcenter wie auch in Unternehmen. Die sogenannte data literacy ist Voraussetzung dafür, die digitale Entwicklung mittragen zu können. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft definiert data literacy als „die Fähigkeit, planvoll mit Daten umzugehen und sie im jeweiligen Kontext bewusst einsetzen und hinterfragen zu können”. Wir sprechen also von Datenkompetenz: Welche Bedeutung hat Datenqualität? In welcher Form müssen Daten vorliegen, damit sie verarbeitbar sind? Wie gehe ich mit E-Mails um, wo und wie speichere ich Dokumente? Dazu bräuchte es meiner Ansicht nach eine Basisausbildung, egal für welche Person und in welchem Bereich. Zudem sollten Mitarbeitende in Jobcentern auch in der Lage sein, Leistungsberechtigte an die neuen Technologien heranzuführen. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2021 hat ergeben, dass 30 Prozent der Bevölkerung keine digitalen Angebote nutzen. Von diesem Drittel bewegen sich 46 Prozent in einer Einkommensgruppe bis 1.500 Euro.
Wie können Jobcenter ihre Mitarbeitenden befähigen, sich sicher im Digitalen zu bewegen, um dann auch Leistungsberechtigte zu unterstützen?
Jobcenter-Mitarbeitende, die noch nie mit der entsprechenden Technologie gearbeitet haben, muss sie Schritt für Schritt gezeigt werden – im wörtlichen Sinn. Gebrauchsanweisungen oder Erklärungen, ohne die einzelnen Punkte gemeinsam durchzugehen, sind nicht zielführend. Erst wenn die Mitarbeitenden die entsprechenden Tools sicher bedienen und nachvollziehen können, sind sie in der Lage, auch Leistungsberechtigte zu unterstützen. Am Ende geht es dabei auch um die Teilhabe am digitalen Leben, eine Grundfähigkeit. Das Vorgehen ist das gleiche: Niedrigschwellig, leicht verständlich und vor allem anschaulich. So lässt sich die Hemmschwelle für alle Beteiligten, digitale Kommunikationsangebote anzunehmen, deutlich reduzieren. Menschen brauchen Sicherheit, dass die Technologie, die sie nutzen, auch funktioniert.
Was müssen Jobcenter bieten, um digital denkende Mitarbeitende zu gewinnen oder zu halten?
Generell habe ich den Eindruck, dass die Bundesagentur für Arbeit und die einzelnen Jobcenter da schon sehr weit sind. Gerade im Bereich der digitalen Kommunikation sollten sie Mitarbeitenden die Freiheit gewähren, auch mal was auszuprobieren. Ich würde Jobcenter ermutigen, interessierten Mitarbeitenden die Chance dazu zu geben. Wichtig ist nur, die Digitalisierung nicht mit der Holzhammermethode durchzusetzen, sondern alle Mitarbeitenden mitzunehmen, auch die Skeptischen.
Bei einer Veranstaltung der Reihe „Qualitätsarbeit im SGB II“ bemängelten Sie die fehlende Fehlerkultur in der öffentlichen Verwaltung. Warum ist es gut, wenn Jobcenter-Mitarbeitende mal Fehler machen?
Erst einmal: Mit Fehlerkultur meine ich nicht, dass fehlerhafte Bescheide rausgeschickt werden. Sondern dass Menschen dort, wo keine rechtlichen Konsequenzen drohen, den Mut haben sollten, etwas auszutesten, um daraus zu lernen. Dies gilt besonders für den Kommunikationsbereich. Falls sich etwa Videotelefonate nicht bewährt haben, warum sollte man dann nicht einen Messenger-Dienst verwenden, wenn sich die Menschen dadurch besser erreichen lassen. Diese Aufgeschlossenheit hat in der Pandemie vielerorts funktioniert. Die Frage ist, was davon am Ende Bestand haben wird.
Immer mehr Jobcenter bieten bereits Alternativen und Ergänzungen zur klassischen Vor-Ort-Beratung mit Termin an. Glauben Sie, dass dieser Ansatz gekommen ist, um zu bleiben?
Aus meiner Sicht müssen hybride Modelle die Zukunft sein. Bei einem Wechsel zurück ins hundertprozentige Präsenzmodell würden wir viele Kompetenzen, die wir auch in Zukunft brauchen, wieder verlernen. Aktuell befinden wir uns in einem Lernprozess, was die digitale Kommunikation anbelangt. Beispielsweise wie Konfliktlösung in einer Videokonferenz funktioniert oder worauf es bei virtueller Teamführung ankommt. Dieses Potential wieder aufzugeben, wäre schade. Außerdem sehe ich im hybriden Ansatz eine große Chance, die Erreichbarkeit der Jobcenter über die regulären Öffnungszeiten hinaus auszudehnen. Dafür müsste man natürlich schauen, welche Möglichkeiten die Arbeitszeiten zuließen.