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Flucht

"Zugewanderte Frauen bringen viele gute Qualifikationen mit"

Wie gut funktioniert die Integration in Arbeit insbesondere der weiblichen Geflüchteten in Deutschland und wie lässt sie sich weiter verbessern? Dazu forscht Prof. Yuliya Kosyakova seit vielen Jahren. Im Interview berichtet sie, welchen Hürden geflüchtete Frauen auf dem Weg in Arbeit begegnen und warum frühe Unterstützung entscheidend ist.

Seit dem Jahr 2016 befragt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jährlich Geflüchtete. Was ist das zentrale Ziel der gemeinsam mit dem Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (FZ-BAMF) und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführten Befragungen?

Prof. Yuliya Kosyakova: Unseren repräsentativen Befragungen sollen vor allem evidenzbasierte Politikberatung ermöglichen und Forschung zu den zwischen den Jahren 2013 und 2019 nach Deutschland zugezogenen Geflüchteten und zu ihren Haushaltsmitgliedern liefern. Wir erstellen dazu eine groß angelegte Studie: Seit dem Jahr 2016 haben wir über 10.000 Personen mindestens einmal befragt.

Ihre Befragung zeigt, dass in Deutschland acht Jahre nach ihrem Zuzug viele geflüchtete Menschen arbeiten. Jedoch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während rund 86 Prozent der männlichen Geflüchteten erwerbstätig sind, sind es nur 33 Prozent der Frauen. Welche Gründe gibt es dafür?

Prof. Yuliya Kosyakova: Ein wichtiger Faktor ist das Thema Betreuungspflichten. Insbesondere wenn viele und kleine Kinder im Haushalt leben, ist die Erwerbsbeteiligung unter Frauen niedriger. Hier ist aber wichtig zu sagen: Das Thema Kinder ist auch in anderen Personengruppen in Deutschland ein entscheidendes Kriterium dafür, ob jemand erwerbstätig ist. Wir sehen, dass Frauen mit Kindern deutlich seltener arbeiten im Vergleich zu Frauen, die ohne Kinder oder ohne Partner nach Deutschland kommen. Ein weiterer Aspekt, der den Geschlechterunterschied begründet, ist zum Beispiel ein Mangel an Sprachkenntnissen. Frauen nehmen weniger an Sprachkursen teil, denn sie ziehen mehrheitlich mit Familie nach Deutschland, während die Mehrheit der Männer allein nach Deutschland kommt. Das führt zu unterschiedlichen familiären Herausforderungen. Zudem haben geflüchtete Frauen bei Zuzug im Durchschnitt ein etwas niedrigeres Bildungsniveau und häufig weniger Berufserfahrung als Männer. Und auch nach dem Zuzug bestehen für Frauen in der Regel geringere Bildungschancen. Gleichzeitig waren Frauen mit Berufserfahrung in ihren Herkunftsländern häufiger im Bildungs- und Gesundheitssektor erwerbstätig. Um diese Qualifikationen in den deutschen Arbeitsmarkt zu übertragen, braucht es ein viel höheres Sprachniveau als in anderen Sektoren, wie beispielsweise in der Baubranche. Dazu kommen noch langwierige Anerkennungsprozesse der mitgebrachten Qualifikationen sowie ein hohes Risiko der Nicht-Anerkennung. Darüber hinaus haben geflüchtete Frauen seltener soziale Kontakte zu Einheimischen in Deutschland, was wiederum mit geringeren Erwerbschancen einhergeht. Nicht zuletzt sind geflüchtete Frauen im Mittel auch häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als Männer, beispielsweise im Zuge von sexueller Gewalt auf der Flucht. Auch das wirkt sich negativ auf die Erwerbsbeteiligung aus.

Welchen weiteren Barrieren begegnen geflüchtete Frauen auf ihrem Weg in Arbeit?

Prof. Yuliya Kosyakova: Frauen mit Kindern haben es bei der Arbeitsmarktintegration besonders schwer, insbesondere Alleinerziehende. Hier stellt das Thema Kinderbetreuung eine große Herausforderung dar. Denn geflüchtete Frauen haben im Vergleich zu einheimischen Frauen weniger Chancen, einen Betreuungsplatz für ihre Kinder in Anspruch zu nehmen. Ursachen sind vor allem sprachliche und bürokratische Hürden. Hinzu kommen traumatisierende Erfahrungen, die vor allem bei geflüchteten Familien ausgeprägt sind. Sind Kinder traumatisiert – insbesondere die jüngeren – können Frauen besonders gehemmt sein, sie in eine Betreuung zu schicken. Auch das kann sie daran hindern, am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem spielt Diskriminierung bei geflüchteten Frauen eine Rolle. Das ist etwas, das wir mit Befragungsdaten nur schwer ermitteln können. Allerdings gibt es viele experimentelle Studien zu Diskriminierung im deutschen Arbeitsmarkt gegenüber geflüchteten Frauen, insbesondere gegenüber muslimischen Frauen oder Frauen mit Kopftuch.

Beeinflussen vorherrschende Geschlechterrollen die Arbeitsmarkintegration?

Prof. Yuliya Kosyakova: Geschlechterrollen sind kein ausgeprägter Erklärungsfaktor für die ungleichen Beschäftigungsquoten zwischen geflüchteten Frauen und Männern. Darüber hinaus haben wir die Einstellungen der Geflüchteten mit den Einstellungen der Menschen aus ihren Herkunftsländern verglichen. Hier zeigte sich, dass die zugezogenen Menschen viel liberalere und weniger traditionelle Einstellungen vertreten im Vergleich zu den Menschen in ihren Herkunftsländern. Vergleichen wir nun die Einstellungen der geflüchteten Menschen mit denen der deutschen Bevölkerung, zeigt sich, dass die Unterschiede nur gering ausfallen. Das macht deutlich: Diejenigen, die nach Deutschland kommen, teilen bereits weitgehend die hier vorherrschenden Einstellungen zu Geschlechterrollen. Man kann also nicht sagen, dass das die Erklärung ist, warum geflüchtete Frauen deutlich weniger arbeiten als geflüchtete Männer. Außerdem ist interessant, dass es in Deutschland zwar eine sehr hohe Beschäftigungsquote bei Frauen gibt, allerdings arbeiten sie meist in Teilzeit und investieren ähnlich viel Zeit in Sorge- und Hausarbeit wie geflüchtete Frauen. Betrachten wir die Daten zu den geflüchteten Menschen, erklären Geschlechterrollen – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil.

Welche Beratungs- und Vermittlungsstrategien für Frauen mit Migrationserfahrung können Sie aus den Daten ableiten?

Prof. Yuliya Kosyakova: Ich sehe eine große Chance in der individualisierten Beratung, wie sie in Norwegen zum Beispiel verbreitet ist. Denn was häufig bei Familien in der Beratung passiert, ist, dass der Mann zuerst einen Job annimmt und die komplette Familie dadurch die Betreuung durch das Jobcenter verliert. Das kann weitreichende Folgen für die Frauen haben, die meist noch gar nicht in Arbeit vermittelt sind. Sie finden dann ihren Weg zu unterstützenden Maßnahmen nicht mehr, wie etwa zu Sprach- und Integrationskursen, obwohl diese über die Agenturen für Arbeit weiterhin möglich sind. Das Allerwichtigste ist meiner Meinung nach, dass die Frauen weiterhin von der Betreuung der Jobcenter Gebrauch machen könnten. Auch eine frühzeitige Betreuung ist wichtig, denn wir sehen, dass Frauen später mit Sprachkursen oder anderen Maßnahmen beginnen als Männer. Auch beim Thema Kinderbetreuung benötigen Zugezogene Hilfe. Einen Kitaplatz zu bekommen, ist in Deutschland sehr kompliziert, insbesondere, wenn Sprachbarrieren da sind. Hier muss man erst mal verstehen, wie das funktioniert. Auch psychische Erkrankungen und Belastungen sollten ausreichend berücksichtigt werden, etwa in Form von spezialisiertem Personal und eines sensiblen Umgangs mit traumatischen Erlebnissen. Jobcenter können zudem die Stärkung eines sozialen Netzwerks fördern, zum Beispiel indem sie mit ehrenamtlichen Netzwerken zusammenarbeiten.

Was ist wichtig, um mehr geflüchtete Frauen langfristig in Arbeit zu integrieren?

Prof. Yuliya Kosyakova: Am Beispiel der Ukrainerinnen haben wir gesehen: Zugewanderte Frauen bringen viele gute Qualifikationen mit, die wir auf dem deutschen Arbeitsmarkt dringend brauchen. Hier wäre es meiner Meinung nach wichtig, diese Frauen so früh wie möglich in deren frühere Berufe zu integrieren – selbst, wenn sie anfangs als Helferinnen arbeiten. Es bringt viel mehr, wenn eine Buchhalterin in einem Büro als Aushilfe statt als Reinigungskraft eingestellt wird. Denn dort kann sie die fachspezifische Sprache lernen und hat Aufstiegschancen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch auf lange Sicht beschäftigt bleibt. Außerdem ist es wichtig, dass Frauen nicht zu lange geringfügig beschäftigt bleiben. Zwar können diese Jobs ein Sprungbrett sein, meistens führen sie aber in eine Sackgasse. Hier wäre eine andauernde Betreuung auch nach dem Berufsstart wichtig und eine Beratung zu möglichen Zukunftsperspektiven.

Wie bewerten Sie bestehende Ansätze der Jobcenter? Gibt es Ideen, die aus Ihrer Sicht besonders vielversprechend sind?

Prof. Yuliya Kosyakova: Ich finde die Angebote im Rahmen des ESF Plus-Bundesprogramms MY TURN super interessant. Das Programm arbeitet eng mit den Jobcentern zusammen und organisiert sich deutschlandweit in zahlreichen Einzel- und Verbundprojekten. Die Angebote ermutigen Frauen und schaffen Selbstbewusstsein. Während geflüchtete Frauen in den Jahren 2015 und 2016 noch nicht wirklich im Fokus der Jobcenter waren, gibt es inzwischen Projekte, die die spezifischen Bedürfnisse von geflüchteten Frauen in den Blick nehmen – von Kinderbetreuung und Spracherwerb bis hin zur Anerkennung von Qualifizierungen. Solche Projekte sind wichtig, insbesondere, wenn sie überregional angelegt sind. Auch spannend finde ich Projekte mit Mentoring-Ansatz. Denn das führt – wie wir in unseren Befragungen gesehen haben – gleichzeitig zu besseren Sprachkenntnissen und sozialen Kontakten. Eine Mentorin oder ein Mentor steht den Frauen zur Seite und unterstützt so dabei, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und Selbstvertrauen zu entwickeln.

Auf einen Blick: Die IAB-BAMF-SOEP-Studie

AllgemeinesBefragung mindestens einmal jährlich
BefragteZwischen 2013 bis 2016 zugezogene Geflüchtete, aber auch neue Zuzüge; Seit 2023 zählen dazu auch ukrainische Personen, die seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nach Deutschland geflohen sind.
MethodePersönliche Interviews
Erhobene DatenBiografische Daten, Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen, Sprachkenntnisse, Diskriminierungserfahrungen, Bildungsbiografien, soziale Kontakte und familiäre Situation, Daten zur Arbeitsmarktintegration

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