Was hat Sie dazu bewogen, sich mit gesprochener Verwaltungssprache zu befassen?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: Jedes Jahr finden über 150 Millionen Interaktionen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und öffentlichen Verwaltungen statt. Bis vor Kurzem blieb die bürgerorientierte Kommunikation jedoch fast vollständig vernachlässigt. Dabei spielt sie eine entscheidende Rolle für die Beziehung zwischen Bürgerinnen und Bürger und dem Staat. Sie ist ein Mikroprozess, der größere gesellschaftliche Phänomene beeinflusst, wie das Vertrauen in staatliche Institutionen oder die Zufriedenheit mit öffentlichen Dienstleistungen.
Sie haben mehr als 150 Interaktionen in Behörden untersucht. Was definieren Sie als Interaktion und was waren Ihre eindrucksvollsten Beobachtungen?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: Bei einer Interaktion geht es um den direkten, verbalen Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Verwaltungsmitarbeitenden. Dafür haben wir Interviews mit Verwaltungsmitarbeitenden geführt und Gespräche aufgezeichnet, um die Kommunikation in der Verwaltung zu analysieren. Gerade in Jobcentern war auffällig, wie tief Gespräche in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eindringen. Menschen öffnen sich in diesen Gesprächen bereitwillig und berichten von sehr persönlichen Lebensgeschichten. Es ist beeindruckend, wie gut die Mitarbeitenden in vielen Fällen mit diesen sensiblen Informationen umgehen. Das erfordert eine hohe emotionale Intelligenz.
In Ihrer Forschung unterscheiden Sie zwischen der Informations- und der Beziehungsebene. Was ist darunter zu verstehen und warum ist diese Unterscheidung so wichtig?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: Die Unterscheidung zwischen Informations- und Beziehungsebene ist zentral, um die Komplexität der Kommunikation zu verstehen. Auf der Informationsebene geht es um die reine Datenweitergabe. Es geht um präzise Fakten und Rechtsvorgaben. Die Beziehungsebene hingegen betrifft die emotionale und soziale Dimension der Kommunikation. Sie bestimmt, wie gut sich die Bürgerinnen und Bürger verstanden und respektiert fühlen. Die Beziehungsebene, also Empathie und Freundlichkeit, hat großen Einfluss auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. Diese Erkenntnis ist besonders wichtig, weil es bei Verwaltungsdienstleistungen häufig um komplexe, emotionale Themen geht.
In welchen Situationen äußern sich die Informations- und Beziehungsebene konkret in einem Gespräch und wie wirken sich diese beiden Ebenen auf das Gesprächsergebnis aus?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: In unserer Forschung konnten wir zeigen, dass Unterschiede in der Kommunikation einen direkten und messbaren Einfluss auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger haben. Ein gutes Beispiel ist ein Gespräch, in dem ein Mitarbeitender einen Leistungsberechtigten über die Ablehnung seines Antrags informiert. Auf der Informationsebene teilt der Mitarbeitende lediglich die Ablehnung und die rechtlichen Gründe dafür mit. Auf der Beziehungsebene hingegen könne der Mitarbeitende empathisch auf die Enttäuschung des Leistungsberechtigten reagieren, Verständnis zeigen und ihm gegebenenfalls Alternativen oder Unterstützungsmöglichkeiten anbieten. Ein solches Gespräch kann die negative Wirkung eines entsprechenden Bescheides mildern und die Zufriedenheit des Leistungsberechtigten trotz der ablehnenden Entscheidung erhöhen.
In der Verwaltung geht es oft um Präzision und Rechtskonformität. Zugleich erwarten Bürgerinnen und Bürger Verständlichkeit. Wie lässt sich dieses Spannungsfeld auflösen?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: Ich denke, die Lösung liegt in der gesprochenen Kommunikation. Während schriftliche Bescheide immer rechtsverbindlich und präzise sein müssen, können Mitarbeitende die verbale Kommunikation flexibler gestalten. Ein Beispiel wäre, schwierige Fachbegriffe zu vermeiden oder sie zu erklären, sodass auch Menschen ohne juristische Vorbildung sie verstehen können. Das bedeutet nicht, dass die Rechtskonformität leidet. Es geht vielmehr darum, eine Balance zu finden, die beiden Anforderungen gerecht wird. Auch unter hohem Druck ist es wichtig, sich Zeit für klare Kommunikation zu nehmen, um Missverständnisse zu vermeiden.
Welche Rolle spielen Führungskräfte bei der Förderung einer verständlichen und zugewandten gesprochenen Verwaltungssprache im Arbeitsalltag?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: Führungskräfte haben eine zentrale Rolle, weil sie den Rahmen für die Kommunikation im gesamten Team setzen. Sie können eine Kultur der Reflexion und des Lernens etablieren, und Mitarbeitende ermutigen, sich mit ihrer Kommunikation auseinanderzusetzen. Wenn Führungskräfte selbst eine zugewandte und verständliche Sprache vorleben, überträgt sich diese auch auf die Mitarbeitenden. Dafür müssen sie diese Art der Kommunikation aktiv betonen und entsprechende Schulungen oder Reflexionsräume schaffen.
Was verändert sich durch digitale Formate wie Chat-, App- oder Videoberatung und welche Rolle spielen KI-Tools dabei?
Prof. Dr. Steffen Eckhard: Die digitale Kommunikation verschiebt die Anforderungen an die Sprache. Durch den Verlust von non-verbalen Signalen wie Mimik und Gestik wird das gesprochene Wort noch wichtiger. Die Mitarbeitenden müssen lernen, auch in digitalen Formaten empathisch und klar zu kommunizieren. Digitale Kommunikation erfordert zudem neue Kompetenzen, da sie schneller und oft weniger persönlich ist als analoge Gespräche. Die Digitalisierung bietet aber auch Chancen: KI-Tools können Routinekommunikation übernehmen und Mitarbeitende entlasten, sodass mehr Zeit für die zwischenmenschliche Kommunikation bleibt.
So kommunizieren Sie im Arbeitsalltag klarer – fünf Tipps von Prof. Dr. Steffen Eckhard:
- Vermeiden Sie Fachbegriffe und erklären Sie, wenn sie notwendig sind.
- Sprechen Sie in kurzen Sätzen und vermeiden Sie komplexe Formulierungen.
- Beginnen Sie jedes Gespräch mit einem kurzen Smalltalk, um das Eis zu brechen.
- Zeigen Sie Empathie und reflektieren Sie emotionale Aussagen der Bürgerinnen und Bürger.
- Schließen Sie jedes Gespräch mit einem Hilfsangebot ab, um Unterstützung zu signalisieren.
Steffen Eckhard ist Professor für Verwaltungswissenschaften an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. In einem aktuellen Projekt untersucht er, wie KI die Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Verwaltung verbessert sowie effizienter gestalten kann. Weitere Informationen zu diesem spannenden Projekt finden Sie hier.
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