Ihr Jobcenter ist seit 2017 „sozialräumlich aufgestellt“. Die Mitarbeitenden konzentrieren sich jeweils auf einen Stadtbezirk von Münster. Ist diese persönliche Nähe weiter notwendig in immer digitaleren Zeiten?
Ralf Bierstedt: Ja, die Dezentralisierung war und ist der richtige Schritt. Dieser Meinung sind wir auch nach der Corona-Zeit, wo teilweise gar kein Präsenzbetrieb möglich war. Wir haben sieben Nebenstellen. Alle sieben haben jeweils 12 bis 15 Mitarbeitende im Leistungsbereich und ebenso viele Jobcoaches, also Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler. Hinzu kommen vier bis fünf Personen im Eingangsbereich. Sie geben dem Jobcenter vor Ort ein Gesicht. Die Kund*innen kennen ihre Mitarbeiter*innen vor Ort, beinahe so wie sie auch die Verkäuferin oder den Verkäufer ihrer Bäckerei um die Ecke kennen. Die relativ kleinen Nebenstellen vermitteln auch äußerlich nicht den Eindruck einer Behörde. Das alles finde ich auch für die Zukunft wichtig. Denn natürlich werden die Menschen auch künftig persönlich zu uns kommen.
Welche Vorteile hat die Präsenz vor Ort außerdem?
Ralf Bierstedt: Wir sind als Jobcenter viel besser in der Nachbarschaft vernetzt. Auch diese Nähe zu den Akteur*innen bleibt wichtig im digitalen Zeitalter. Wir kennen uns in den Bezirken aus. Zu Beginn unserer organisatorischen Umstellung habe ich alle Nebenstellen gebeten, ihren Sozialraum zu analysieren: Wie ist die Kundenstruktur, welche Arbeitgebenden gibt es, welche Netzwerkpartner*innen und sozialen Träger? Wo liegen die Arbeitsschwerpunkte? Wir haben herausgefunden, dass alle sieben Bezirke ihre speziellen Schwerpunkte haben. In dem einen ist es Migration und Sprache, in einem anderen gibt es viele große Bedarfsgemeinschaften, im dritten gibt es mehr Alleinerziehende.
Jetzt, einige Jahre später, sind wir lokal sehr gut vernetzt. Die Mitarbeitenden gehen zu Treffen von Stadtteilinitiativen, sie kennen alle Kitas im Bezirk und die ehrenamtlichen Initiativen. Sie wissen, wo Beratungscafés stattfinden, und gehen teilweise mit Sozialarbeiter*innen zum Streetwork.
Digitalisierung ist dennoch ein Topthema. Wie stellen Sie sich das künftige hybride Jobcenter vor?
Ralf Bierstedt: Ich möchte nicht, dass wir nach der Pandemie in alte Fahrwasser zurückkehren. Unser Ziel ist es, ein moderner Dienstleister zu sein. Dazu gehört das persönliche Gespräch vor Ort. Aber kleine Anliegen lassen sich am Handy oder am PC tatsächlich viel einfacher lösen. Wir sollten unsere Prozesse aber nicht aus der eigenen Brille betrachten, sondern den Blickwinkel der Kund*innen einnehmen und dort digitalisieren, wo es ihnen nützt. Wir sollten uns fragen: Wie würde ich mir als Kundin oder Kunde meine Antragstellung vorstellen? Wie will ich informiert werden? Ich glaube, die Menschen erwarten hier eine bessere digitale Kommunikation von uns. Denn sie wissen, wie bequem es in anderen Bereichen längst funktioniert: Wer online etwas bestellt, kann das Paket verfolgen: ‚Die Sendung hat das Logistikzentrum verlassen.‘ Ganz ähnlich wie über einen Lieferstatus sollte auch das Jobcenter die Menschen über den Antragsstatus auf dem Laufenden halten.
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