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Digitale Reihe „Qualitätsarbeit im SGB II“ beleuchtet den Arbeitsmarkt nach Corona

Wissenschaftlich fundiert und praxisnah zugleich: Die 90-minütige Debatte, moderiert von Dr. Julia Kropf, lieferte Ausblicke auf die kommende Zeit mit und nach der Corona-Pandemie. Prof. Dr. Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigte Zahlen und Prognosen zum Arbeitsmarkt. Vanessa Ahuja aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ordnete die Herausforderungen für Politik und Verwaltung ein. Die Geschäftsführerin des Jobcenters Ulm, Dr. Michelle Flohr, sowie der Geschäftsführer des Jobcenters Berlin-Mitte, Lutz Mania, berichteten aus ihrer Arbeit mit den Leistungsberechtigten. 160 Teilnehmende aus Jobcentern in ganz Deutschland, von den Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesagentur für Arbeit schalteten sich zu.

Der deutsche Arbeitsmarkt - stark wie nie zuvor - sah sich Anfang 2020 mit der Pandemie konfrontiert, erläuterte Walwei. Von 2005 bis 2019 habe sich die Arbeitslosigkeit halbiert. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg um rund fünf Millionen Menschen, die vor allem eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufnahmen. „Vor Corona gab es eine Entwicklung, bei der man sich die Augen reiben musste“, sagte Walwei. Doch auch schon vor Corona habe sich ein Strukturwandel gezeigt: Digitalisierung, Globalisierung und ein Engpass bei den Fachkräften habe Deutschland beschäftigt ebenso wie die Frage des Klimaschutzes und die Ungleichheit in der Entlohnung verschiedener Berufsgruppen. Für die Jobcenter besonders bedeutend: Trotz des Booms habe sich ein kleiner „harter Kern“ von Erwerbslosen etabliert.

Auf Corona folgt keine Krise, aber umso mehr Dynamik

Trotz all dieser Prüfungen – Walwei rechnet nicht mit einer anhaltenden Krise am Arbeitsmarkt durch die Pandemie. Diese Ansicht bekräftigte auch Vanessa Ahuja und verwies auf die Statistiken: „An eine massive und große Welle von Entlassungen glaube ich nicht – ich blicke verhalten optimistisch in die Zukunft.“ Das Kurzarbeitergeld habe viele Menschen vor dem Jobverlust bewahrt. In Bereich der Grundsicherung seien die Jobcenter flexibel mit neuen Regelungen und veränderten Rahmenbedingungen umgegangen und hätten Außergewöhnliches geleistet. Dafür dankte Ahuja den Jobcenter-Mitarbeitenden, die selbst mit Einschränkungen in ihrem Alltag kämpften.

Eine breite Mehrheit der Zuschauenden schätzte die Arbeitsmarkt-Folgen der Pandemie für die Jobcenter als groß oder sehr groß ein. Dies ergab eine Live-Umfrage:

Walwei sieht statt einer Krise eine Bereinigung auf den Arbeitsmarkt zukommen. „In erster Linie sterben Geschäftsmodelle“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. Betriebsschließungen werde es geben, aber auch mit Neugründungen sei zu rechnen. Lutz Mania unterfütterte diese Prognose mit einem Beispiel aus Berlin-Mitte: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Tourismus und Gastronomie wieder aufleben. Da wird es sicher Insolvenzen geben, aber auch wieder Neugründungen.“ Ebenso ausgewogen blickte Michelle Flohr auf die Lage. Das Jobcenter Ulm habe trotz Pandemie weiter Menschen in Arbeit gebracht. „Wir fühlen uns gut vorbereitet auf die neuen Herausforderungen – die so neu nicht sind. Viele Entwicklungen haben sich nur verstärkt“, sagte Flohr.

Turbulenter Arbeitsmarkt fordert neue Angebote zur Qualifizierung

Die Bewegung auf dem Arbeitsmarkt werde für Turbulenzen sorgen, meinte Walwei – im Negativen wie aber auch im Positiven. Viele Arbeitsplätze würden in den kommenden Jahren wegfallen, zugleich aber auch ganz neue Tätigkeiten entstehen.

Diese Dynamik erfordere neue Qualifizierungsangebote, für digitale Kompetenzen ebenso wie für Kompetenzen, die nicht durch Maschinen zu ersetzen sind. Walwei sieht im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich Erziehung eine besonders stark wachsenden Personalbedarf. Und trotz Automatisierung und Akademisierung gäbe es auch Chancen für ungelernte Menschen in Helfer-Tätigkeiten. Denn der demografische Wandel sorge für Nachfrage: „Das Erwerbspotenzial wird über die kommenden Jahrzehnte weiter zurückgehen.“ In einer weiteren Umfrage rechnete eine Mehrheit durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft mit großen oder sehr großen Auswirkungen für die Jobcenter:

Vor diesem Hintergrund verwies Flohr auf einen teils wachsenden Beratungsbedarf: Digitalisierung ziehe ein Mehr an Beratung nach sich, sofern die Jobcenter künftig auch Verlierer*innen der Digitalisierung betreuen müssen. Auch Mania beschäftigte das Thema Beratung: Nach vielen Monaten telefonischer und digitaler Kontakte stelle sich sein Jobcenter die Frage, wie eine reguläre, persönliche Beratung in den kommenden Jahren aussehen könnte. Besonders fokussieren will Mania auf die Gruppe der Ü-55-Jährigen, die nach einem Arbeitsplatzverlust geringe Chancen haben, sowie auf Leistungsberechtigte mit sprachlichen Defiziten, die für fast jede Vermittlung ein Hemmnis seien.

Ahuja folgerte für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales: „Die Jobcenter fühlen sich grosso modo gut aufgestellt, wünschen sich von uns Stabilität und einen breiten Strauß an Maßnahmen.“ Dazu könnte eine Verstetigung des sozialen Arbeitsmarktes beitragen. Das Ministerium verfolge in der derzeitigen Lage eine investive Arbeitsmarktpolitik, sagte Ahuja, und nannte als Beispiele das Qualifizierungschancengesetz sowie das Arbeit-von-Morgen-Gesetz.

Wollen Sie an den kommenden Veranstaltungen der digitalen Reihe teilnehmen? Dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail.

Hier finden Sie eine kurz Zusammenfassung der Fachtagung Qualitätsarbeit im SGB II Teil 2.

Hier finden Sie die Mentimeterergebnisse sowie die Vortragsfolie von Prof. Dr. Ulrich Walwei als Download.