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3 Fragen an Rainer Radloff

17. Februar 2022

Rainer Radloff ist Geschäftsführer des Jobcenters Bielefeld. Seine Mitarbeitenden mussten 2021 den Job wechseln – um die internen Prozesse menschenzentrierter zu gestalten. Im Interview erläutert Radloff, wie sein Jobcenter derzeit die Beratung stärkt und welche Hürden anstehen.

Rainer Radloff

Verbesserungen beginnen oft mit einer selbstkritischen Analyse. Verraten Sie uns: An welchem Punkt könnte das Jobcenter Bielefeld noch menschenzentrierter agieren?

Rainer Radloff: Wir sind mitten in einer Veränderung. Anfang 2020 haben wir ein Ideencamp mit 130 Kundinnen und Kunden sowie Verbänden durchgeführt. Dort haben wir miteinander über unsere Prozesse gesprochen. Parallel haben wir auch Mitarbeitende befragt. Als Ergebnis daraus haben wir 2021 alle Teams außer dem Verwaltungsbereich neugestaltet. 360 Mitarbeitende mussten sich intern auf neue Stellen bewerben. Kundinnen und Kunden werden jetzt an einem Servicepoint in Empfang genommen. Unsere sogenannten Lotsinnen und Lotsen leiten sie weiter. Niemand läuft mehr vor einen hohen Tresen, die Menschen werden an Beratungsinseln empfangen. Auch in den Bereichen Markt und Integration sowie Leistung haben wir jeweils einen neuen Kundenservice als erste Anlaufstelle. Der Service nimmt die Menschen in Empfang, geht mit ihnen durch den Antrag. Erst wenn ihr Antrag bewilligt wurde und das Geld fließt, werden sie weitergegeben an die Backoffice-Bereiche. Wir investieren jetzt viel mehr Zeit in Beratung. Diese neue beratende Rolle, in der jetzt viele Mitarbeitende sind, verändert ein Stück weit ihre Haltung. Wir denken menschenzentrierter. Aber es bedarf eines langen Atems.

Es heißt immer: Wir müssen die Dinge von den Bürgerinnen und Bürgern her denken. Das klingt logisch und simpel. Warum ist es in der Praxis dann doch kompliziert?

Rainer Radloff: Ein gewisses Gefälle zwischen den Mitarbeitenden und den Leistungsberechtigten bleibt. Die Kultur, nicht auf Augenhöhe zu sprechen, hat sich in der Arbeitsverwaltung über Jahrzehnte etabliert. Das SGB II ist für mein Gefühl von seinem Ansatz her nicht menschenzentriert gedacht. Wir brauchen mehr Instrumente von der Politik, um uns besser aufzustellen. Ein Problem gibt es weiterhin im Schriftverkehr. Unsere Anträge und Bescheide müssen gerichtsfest sein, sind daher juristisch formuliert und dadurch oft unverständlich. Eine Idee, über die wir uns schon länger mit unseren Trägern austauschen, sind Anschreiben in einfacher Sprache, die das Juristische übersetzen. Da würde ich mir wünschen, dass wir schnell weiterkommen.

Fokus auf die Nutzerin oder den Nutzer lautet die Devise, wenn es um digitale Produkte geht. Was können Jobcenter von der Arbeitskultur der Digitalbranche lernen?

Rainer Radloff: Aus der agilen Softwareentwicklung finde ich die Retrospektiven besonders interessant. Teams setzen sich regelmäßig zusammen und halten Rückschau auf die vergangene Woche: Was ist uns gut gelungen, was weniger gut und was ist völlig daneben gegangen? Man lernt aus Fehlern. Es ist für eine Verwaltung ein riesiger Sprung, überhaupt über Fehler zu reden. Oder auch nur Mitarbeitende aufzufordern, über Fehler zu reden. Eine Verwaltung macht keine Fehler, lautete immer die Erwartung. Aber natürlich passieren trotzdem Fehler und nur durch ein verändertes Selbstverständnis gibt es die Möglichkeit, offen darüber zu sprechen und besser zu werden. 

Was bedeutet menschenzentrierte Gestaltung? Und wie gelingt der Fokus auf die Bedürfnisse der Menschen im Jobcenter? Darum geht es in der Folge des Podcasts der Servicestelle SGB II mit der Innovationsberaterin Simone Carrier, die Sie hier anhören können.