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Hintergrundbericht

9. September 2020

Sicherheit in Jobcentern: Gemeinsam gegen Gewalt.

Gemeinsam Sicherheit schaffen. - viele Arme kommen in das Bild und die Hände treffen sich in der Mitte und überlagern sich wie ein schützendes Dach.
Gemeinsam Sicherheit schaffen.

Januar 2020, Rottweil in Baden-Württemberg: Ein 58-Jähriger greift eine Jobcenter-Mitarbeiterin, bei der er einen Termin hat, mit einem Messer an und verletzt sie schwer. Die 50-Jährige muss mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden und schwebt zeitweise in Lebensgefahr. Der Täter lässt sich widerstandslos von der Polizei festnehmen. Warum er die Frau angriff, ist unklar.

Der genannte Fall ist ein besonders drastisches Beispiel von Gewalt gegenüber Jobcenter-Mitarbeitenden. Ein Fall, der in dieser Form nur selten vorkommt. Und dennoch: Übergriffe in Jobcentern passieren immer wieder. In vergleichsweise wenigen Fällen sind sie körperlicher Art und nur äußerst selten werden Waffen eingesetzt. Viel öfter jedoch sind Mitarbeitende verbaler Gewalt ausgesetzt. Dies auf unterschiedliche Weise: von Angesicht zu Angesicht, per E-Mail oder am Telefon. Auch dies hinterlässt bei den Jobcenter-Mitarbeitenden Spuren – wenngleich diese mit bloßem Auge meist nicht sichtbar sind.

Jobcenter-Beschäftigte häufig erste Instanz bei Angst und Frustration

Eine nicht repräsentative Online-Befragung in Hessen unter den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst im Auftrag des dbb Beamtenbunds und der Tarifunion Landesbund Hessen, ergab Ende 2019: Insbesondere die Berufsfelder Polizei, Schule, Agentur für Arbeit, Jobcenter, Justizvollzug und Gerichtsvollzieher sind in „besonderem Maße Aggression und Gewaltakten durch Bürger bzw. Kunden oder Gefangene ausgesetzt“. In der Befragung gaben Jobcenter-Mitarbeitende an, dass die Anteile der Beleidigungen und Bedrohungen in ihrem gesamten Berufsleben und auch im Jahr 2019 hoch gewesen seien. 16 Prozent der Befragten gaben an, während ihres gesamten Berufslebens schon einmal körperlich angegriffen worden zu sein, 0,7 Prozent der Befragten erlebten 2019 körperliche Angriffe. Die Befragung unter den hessischen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst lässt nur einen vorsichtigen Schluss auf die Gewaltbetroffenheit einzelner Berufsgruppen sowie die Situation in Jobcentern deutschlandweit zu, da die Ergebnisse auf den Eigenangaben der Betroffenen beruhen und darüber hinaus die Studie räumlich auf Hessen begrenzt war. Klar ist jedoch, dass es in unregelmäßigen Abständen zu Übergriffen kommt.

Die vereinzelten verbalen oder körperlichen Übergriffe lassen sich oft mit problematischen Lebenssituationen der Leistungsbeziehenden erklären. Personen, die ins Jobcenter kommen, sind oft in einer äußerst schwierigen Lage. Eine finanzielle Notlage, Frustration über einen verlorenen Arbeitsplatz, Zukunfts- oder gar Existenzängste versetzen Leistungsbeziehende zum Teil in emotionale Ausnahmesituationen. Wenn der Termin im Jobcenter dann nicht reibungslos verläuft, sind die betreuenden Jobcenter-Mitarbeitenden meist die erste Instanz, die die aufgestaute Frustration, manchmal in Form von verbaler, seltener in physischer, Gewalt, zu spüren bekommen.

Im Rahmen der nicht repräsentativen Befragung in Hessen wurde außerdem deutlich, dass sich die Beschäftigten in Jobcentern trotz „Verständnis für die Lage der Kunden“, ganz klar die Einhaltung von Regeln wünschen. Einen besonderen Unterstützungsbedarf sehen die Jobcenter-Mitarbeitenden in Hessen bei psychisch auffälligen Leistungsbeziehenden oder Personen mit Migrationshintergrund, die allein aufgrund von Sprachbarrieren nicht immer erreicht werden könnten.

Tatsächlich sind Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet, für den Schutz und die Gesundheit ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu sorgen. In §4, Absatz 2 heißt es: „Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen“. Um diesem Grundsatz nachzukommen und letztlich auch den Wünschen der Mitarbeitenden gerecht zu werden, gehen die Jobcenter das Thema Sicherheit von vielen Seiten an. Zum Schutz des Personals arbeiten sie etwa mit unterschiedlichen Sicherheitssystemen, Präventionsmaßnahmen und ausgeklügelten Raumkonzepten.

Im Jobcenter ist man auf schwierige Situationen vorbereitet

Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichte Zahlen belegen, dass in den vergangenen Jahren viel für die Sicherheit in den Jobcentern getan wurde. Beispielsweise wird immer mehr  externes Sicherheitspersonal eingesetzt. 2011 betrugen die Kosten für Sicherheitsdienste noch 6,4 Millionen Euro. 2018 waren es 17,5 Millionen Euro. Die Investition passiert aus gutem Grund: Der Einsatz von Sicherheitspersonal fördert das objektive und subjektive Sicherheitsgefühl von Mitarbeitenden und Besucherinnen und Besuchern der Jobcenter. Denn Sicherheitspersonal kann deeskalierend wirken sowie im Ernstfall einschreiten.

Das gleiche Ziel – nämlich die Steigerung des allgemeinen Sicherheitsgefühls – wird größtenteils durch eine Vielzahl von weiteren Präventionsmaßnahmen erreicht. Mancherorts gibt es Hilfsmittel wie etwa Kontrollsysteme an den Jobcenter-Eingängen für Besucherinnen und Besucher oder Videoüberwachung in Eingangs-, Flur- und Wartebereichen. Die Kontrollen haben allerdings auch Nachteile: So verlängert sich bei den Eingangskontrollen meist die Wartezeit für die Leistungsberechtigten. Das kann Frust mit sich bringen und: die kontrollierten Menschen können sich stigmatisiert fühlen.

Einige Jobcenter haben sich im Zusammenhang mit der Prävention verstärkt mit einer Umgestaltung ihrer Räumlichkeiten befasst, zum Teil auch bauliche Veränderungen vorgenommen. Zum einen können Wartebereiche für Leistungsberechtigte mit freundlichen Farben und Möglichkeiten für den Zeitvertreib, wie etwa kostenloses WLAN und Spielecken für die Kinder von Besucherinnen und Besuchern, angenehmer gestaltet werden. Und auch übersichtliche Ein- und Ausgänge sowie Flure mit guter Beschilderung, die einen schnell ans Ziel bringen, sorgen für weniger Frustration. Zum anderen kann die Gestaltung der Büros von Mitarbeitenden deeskalierend wirken. So kann beispielsweise Aktenchaos im Büro Stress, ein aufgeräumter Schreibtisch hingegen Wertschätzung und ein beruhigendes Gefühl vermitteln. Einige Jobcenter haben auch Fluchttüren in den Büros installiert. Werden Mitarbeitende bedroht, können sie der Situation leichter entfliehen.

Um die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, sich regelmäßig mit dem Thema Gewaltprävention zu befassen, können wiederkehrende Schulungen helfen. Themen der Seminare können unterschiedliche Trainings zu Kommunikation, interkultureller Kompetenz oder auch zu Deeskalationsstrategien sein. Ebenfalls hilfreich sind Sensibilisierungen zu sicherer Büroeinrichtung sowie gefahrenbewusster Raum- und Platzgestaltung und regelmäßige Notfalltrainings. Zudem haben einige Jobcenter erfahrene Netzwerkpartner ins Boot geholt. Sie arbeiten beispielsweise mit der lokalen Polizei zusammen. Die Polizeibeamtinnen und -beamte können etwa bei einer Begehung der Behörde bereits auf kritische Bereiche und Organisationsabläufe aufmerksam machen und wertvolle Hinweise geben. Ebenso stehen die Unfallkasse und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung mit Rat und Tat zur Seite und unterstützen Jobcenter mit Aus- und Weiterbildungsangeboten.

Kommunikation steht an erster Stelle

Die Sicherheitspatinnen und Sicherheitspaten fungieren auch in Sachen Kommunikationstechniken als Multiplikatoren. Nadja Feßler erklärt, was das bedeutet: „Bei uns steht beim Thema Gewaltprävention die Kommunikation an erster Stelle.“ Die Paten erläutern ihren Kolleginnen und Kollegen, wie sie Konflikte vermeiden und deeskalierend agieren können. „Mithilfe der Paten lernen die Mitarbeitenden zwischen unterschiedlichen Aggressions-Stadien zu unterscheiden und dementsprechend zu reagieren“, so Feßler. Denn zwischen einer Beleidigung, einer Drohung mit den Worten „Ich weiß, wo Sie wohnen“ und dem Einsatz einer Waffe bestehen große Unterschiede. Es gelte, die Mitarbeitenden dafür zur sensibilisieren und zu üben, wie sie die entsprechende Situation schnell einordnen können und dementsprechend umsichtig reagieren.

Auch für den Fall, dass es doch zum Angriff kommen sollte, gibt es Notfallpläne in Groß-Gerau. „Dann geht eine Kommunikationskette los“, sagt die Sicherheitsbeauftragte Hauf. Es sei klar, welche Ersthelfer kommen, was sie tun müssten und die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter wisse, wie er oder sie im Büro Schutz suchen kann. Es sei wichtig, dass die Mitarbeitenden nicht nur in der Theorie wüssten, was im Ernstfall zu tun wäre, sondern dass die Abläufe sitzen. Um das sicherzustellen, gebe es alle sechs Monate eine Notfallübung, sagt die Sicherheitsbeauftragte.

Im Jobcenter Groß-Gerau habe man sich auch bewusst dafür entschieden, dass jeder der Mitarbeitenden Sicherheitspate werden könne und nicht etwa ausschließlich Vorgesetzte oder gar jemand von außen, sagt Feßler. „Es ist wichtig, dass die jeweiligen Ansprechpartner bekannt sind und dass sie einen kollegialen Blick haben“, so die Jobcenter-Sprecherin. Denn bedeutend sei für die Mitarbeitenden eben auch, dass sie nicht nur selbst bestens für den Ernstfall gewappnet seien, sondern auch, „dass sie wissen: Im Hintergrund gibt es Menschen, die mir helfen. Das ist eine große Stütze und schafft nicht nur Sicherheit, sondern auch Vertrauen“, so Feßler.

Hier geht es zu den Ergebnissen der Online-Befragung unter den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst im Auftrag des dbb Beamtenbunds und der Tarifunion Landesbund Hessen 2019. 

Hier finden Sie einen Bericht eines Ausbilders für psychologische Ersthelfer auf sgb2.info.