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Expertengespräch mit Sandra Bothe und Jürgen Gausebeck

2. Oktober 2020

Eine Frau mit kurzen rötlichen Haaren im grauen Blazer und ein Mann mit kurzen grauen Haaren und Brille im Anzug stehen vor einem Schild der Polizei.
Sandra Bothe und Jürgen Gausebeck von der Polizei Warendorf

Servicestelle SGB II: Inwiefern haben sich die Bedrohungsszenarien für Beschäftigte bei Behörden verändert? Gibt es gewisse Trends oder Muster, die beobachtbar sind?

Sandra Bothe: Erst einmal müssen wir sagen, dass es dazu aus unserer Sicht keine verlässlichen Zahlen gibt. Das liegt daran, dass manche Vorfälle gar nicht bis zu uns durchkommen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Anzeige gebracht werden. Wir können aber nur auf Dinge reagieren, die angezeigt werden. Dennoch beobachten wir, dass es schneller zu Übergriffen kommt. Das Hochschaukeln passiert schneller. Die Schwelle von verbaler hin zu körperlicher Gewalt wird niedriger.

Jürgen Gausebeck: Wenn wir mit den Mitarbeitenden sprechen, geben sie einem schon die Rückmeldung, ja, die Zahl, dass Leute ungehaltener, gereizter sind, die steigt. Gerade die Mitarbeitenden in den Jobcentern, wo es ums Geld (Kürzungen und Auszahlungen) und damit um Existenzen geht, berichten dies.

Servicestelle SGB II: Wurde das von Ihnen angebotene Präventionsangebot in den letzten Jahren von Jobcentern in Anspruch genommen?

Jürgen Gausebeck: Ganz klar: Ja. Es hat sich herumgesprochen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festgestellt haben, dass es sinnvoll ist, sich mal mit der Polizei zu unterhalten und das Beratungsangebot anzunehmen. Es macht auch Sinn, die Empfehlungen der Polizei zu hören und die interne Vorgehensweise abzuklären, gemeinsame Verhaltensregeln und eine Hausordnung bzw. Dienstanweisung aufzustellen.

Sandra Bothe: Wenn sich ein Jobcenter an uns wendet, dann führen wir natürlich erst mal Vorgespräche. Das heißt: Das ist die Grundlage, um zugeschnittene Maßnahmen zu erarbeiten. Hier im Kreis ist es zum Beispiel so, dass es demnächst ein neues Jobcenter geben wird. Da konnte Herr Gausebeck schon im Vorhinein, bevor das Jobcenter überhaupt gebaut wird, unsere polizeilichen Ideen und Empfehlungen vor allem im technischen Bereich mit einbringen. Und daran sieht man dann besonders, dass sich unsere Unterstützung herumgesprochen hat und dass sich viel getan hat. Denn natürlich ist es viel besser, vorher bauliche und technische Gegebenheiten abzustimmen und nicht erst, wenn das ganze Gebäude bereits steht.

Jürgen Gausebeck: Um mal ein konkretes Beispiel zu nennen: Nicht nur im Jobcenter sind die meisten Büros so konzipiert, dass die Tür der einzige Fluchtweg ist. Baulich kann man es aber auch so regeln, dass die Büros untereinander Verbindungstüren haben. Die Türen dürfen natürlich nicht schalldicht sein. Dann hört man auch, wenn es nebenan mal lauter wird, es zu Streitigkeiten und/oder Gerangel kommt. Wir als Polizei beantworten auch Fragen, wo die Jobcenter-Mitarbeitenden am besten ihr Auto abstellen können, wo sie ins Gebäude gehen und welchen Eingang Besucher nutzen sollen. Das sind Kleinigkeiten, aber diese Regeln geben den Mitarbeitenden eine gewisse Sicherheit und Schutz.

Ein Mann mit kurzen grauen Haaren und silberner Brille schaut lächelnd in die Kamera. Um ihn herum ist viel Natur.
Jürgen Gausebeck, technischer Fachberater bei der Polizei Warendorf.

Servicestelle SGB II: Lassen sich durch die veränderten Arbeitsbedingungen im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie neue bzw. andere Bedrohungslagen erkennen?

Sandra Bothe: Eigentlich nicht. Durch die Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden ergeben sich manchmal andere Gesprächsgrundlagen bzw. Einstiege als vor Corona. Es gibt Personen, die die Geschäftsräume ohne Mund-Nase-Schutz betreten und diese müssen dann darauf hingewiesen werden. Bevor Besucher überhaupt ihr Anliegen vortragen können, werden sie darauf hingewiesen, etwas falsch gemacht zu haben und werden darum gebeten, es zu korrigieren. Dann ist natürlich die Frage, wie wird diese Bitte verbal ausgesprochen und wie nimmt das Gegenüber das auf.

Jürgen Gausebeck: Auch hier haben die Schulungen im Vorfeld geholfen. Durch eine Dienstanweisung ist mittlerweile ganz klar geregelt, wenn sich die Leistungsberechtigten nicht an die Vorgaben der Hausordnung halten, dann darf der Sachbearbeiter sie oder ihn des Hauses verweisen oder auch Hausverbot erteilen. Und wenn die oder der Leistungsberechtigte dem nicht nachkommt, ruft der Mitarbeitende die Polizei. Vor unseren Schulungen gab es meist noch keine klare Dienstanweisung, da waren sich manche Mitarbeitende nicht so sicher, wann sie die Polizei rufen sollen. Durch die Schulungen ist festgelegt worden, welche Regeln einzuhalten sind. Auch in Bezug auf: Wer stellt im Fall der Fälle die Anzeige? Das macht nicht die Einzelperson, sondern die Behörde, also in dem Fall der Kreis Warendorf.

Sandra Bothe: Natürlich ist es bei einer Anzeige so, dass die Schwelle bei jedem einzelnen anders gesetzt ist. Das heißt, der eine hat kein Problem damit, wenn er geduzt wird, der andere schon. Aber es muss etwas Einheitliches geben, wo sich bei Bedarf jeder drauf beziehen kann. Und dann ist auch die Rückendeckung von oben wichtig. Die Zusammenarbeit, die Absprachen.

Eine Frau mit rötlichen kurzen Haaren schaut eher ernst in die Kamera. Um Sie herum ist viel Natur.
Sandra Bothe, Kriminalhauptkommissarin bei der Polizei Warendorf.

Servicestelle SGB II: Gibt es eine einheitliche Linie bei der Risikobewertung von Arbeitsplätzen? Und welche Faktoren beeinflussen die Risikobewertung der Polizei?

Sandra Bothe: Die gibt es auf jeden Fall. Es gibt unterschiedliche Maßgaben innerhalb der Polizei, die alleine schon über das Landeskriminalamt laufen. Wir geben nur Empfehlungen. Es ist so, dass man unterschiedliche Faktoren anschauen muss. Da gibt es zum Beispiel den Punkt baulich-technische Ursachen. Und diesen kann man dann nochmal untergliedern. Zum Beispiel in die Büroausstattung, die unter Umständen ungeeignet sein kann. Die Arbeitsplatzgestaltung: Wo liegt der Locher? Wo liegt die Schere? Ein weiter Punkt kann aber auch sein: fehlende oder mangelnde Alarmierungssysteme. Auch Zutrittskontrollen gehören dazu. Gibt es im Eingangsbereich zum Beispiel eine Art Infotheke? Oder kann jemand einfach so ins Büro marschieren? Auch Fluchtwege werden betrachtet. Sind sie gut ausgeschildert? Ansonsten muss man im Rahmen der Risikobewertung noch organisationsbedingte Ursachen benennen. Zum Beispiel Außendienste oder Hausbesuche. In der Corona-Zeit wurden diese oft telefonisch abgearbeitet. Aber es gibt trotzdem noch Hausbesuche und Außendienste. Da stellt sich dann die Frage, was gibt es da für Faktoren, wenn jemand einen Hausbesuch macht? Auf wen trifft sie oder er? Wie wird vorgegangen? Ist der Mitarbeitende dabei alleine? Hat sie oder er ein Handy dabei, so dass sie/er sofort, wenn irgendetwas ist, jemanden oder auch die Polizei benachrichtigen kann?

Jürgen Gausebeck: Auch der Bereich Kundenorientierung ist wichtig. Fühlt sich die oder der Leistungsberechtigte richtig verstanden? Wenn nicht, dann entsteht schnell Unzufriedenheit und dann kann es zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen. Dann kann es auch mal eskalieren. Manche Jobcenter sind mittlerweile dazu übergegangen, dass sie Sicherheitsdienste haben. Einfach nur damit Leute erkennen: ok, da ist eine besondere Sicherheitssituation und wenn ich mich nicht richtig verhalte, dann kommt der Sicherheitsdienst. Und das hilft manchmal auch schon und wirkt deeskalierend.

Servicestelle SGB II:Welche Herausforderungen nehmen Sie bei Ihrer Zusammenarbeit mit den Jobcentern wahr?

Sandra Bothe: Ein Punkt ist unter anderem, dass es eine Hemmschwelle gibt, die Polizei anzurufen. Da erleben wir eine Unsicherheit unter den Mitarbeitenden. Sie fragen sich: Darf ich das jetzt? Muss ich erst noch den Chef informieren? Reicht das aus, was die oder der Leistungsberechtigte gemacht oder gesagt hat? Wann rufe ich die Polizei? Belästige ich die Polizei? Das sind Gedanken, die die Mitarbeitenden teilweise haben. Manchmal haben sie auch angerufen und dann stellte sich heraus, dass der Vorfall gar nicht so schlimm war. Beim nächsten Mal fragen sie sich dann: Kann ich die Polizei jetzt noch mal anrufen? Das ist dann einfach eine Kommunikationssache. Wir sagen den Mitarbeitenden immer wieder: Sie sollen sich nicht in Gefahr bringen. Dann entscheidet noch das Bauchgefühl mit, gepaart mit klaren Dienstvereinbarungen und Absprachen mit der Chefetage. Es muss klar sein: Wenn etwas ist, Punkt a, b, c ist eingetreten, dann wird die Polizei angerufen. Manchmal hilft es auch schon, in einer brenzligen Situation, den Hörer in die Hand zu nehmen, um dem Gegenüber damit zu sagen: Halt stopp, jetzt wird die Polizei gerufen. Ein weiterer Punkt sind Absprachen und Transparenz untereinander. Die besagen, wenn es im Nachbarbüro laut wird, lässt die Kollegin oder der Kollege seine Sachen liegen und kommt rüber. Nicht unbedingt, um sich in der Tür aufzubauen. Sie oder er kommt einfach bei den ersten lauteren Worten unter einem Vorwand und fragt zum Beispiel nach einer Akte.

Jürgen Gausebeck: Wir erklären dann natürlich auch, wie wir als Polizei im Ernstfall vorgehen. Man muss den Mitarbeitenden erklären, wenn sie uns anrufen, dann ist das nichts Schlimmes. Und wenn wir dann mal kommen, dann kommen wir und wenn alles in Ordnung ist, dann fahren wir eben wieder. Wenn es mal nicht so ist, dann schreiten wir direkt ein oder holen noch mehr Verstärkung. Da kommt es dann aber auch darauf an, wie wir alarmiert werden. Wenn die oder der Anrufer sagt: „Hier stehen drei ungehaltene Leute vor der Tür“, dann fahren wir da nicht nur mit einem Wagen hin, sondern mit zwei oder drei. Wir erklären auch die taktische Lage der Polizei. Damit niemand Sorge haben muss und jeder erkennt, die Polizei hilft uns, sie gibt uns Sicherheit.

Hier finden Sie den Hintergrundbericht zum Thema Sicherheit in Jobcentern.