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Expertengespräch: Dr. Ulrich Stadelmaier, Deutsche Gesellschaft für Personalwesen e. V.

8. Oktober 2018

Wie gute Führung die Personalentwicklung unterstützen kann und was Verkehrsregeln damit zu tun haben, darüber haben wir mit Dr. Ulrich Stadelmaier gesprochen. Der Diplom-Psychologe ist Leiter der Geschäftsstelle Stuttgart der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e. V.

Porträtfoto: Ulrich Stadelmaier. Er hat braune Haare und trägt eine eckige Brille.

Servicestelle SGB II: Herr Dr. Stadelmaier, was zeichnet heute gute Führung aus?
Dr. Ulrich Stadelmaier: Das Motto lautet Kreisverkehr statt Ampelkreuzung. Die althergebrachte Anforderung an Führungskräfte ist „command and control“. Sie sind die Ampeln, geben grünes, gelbes oder rotes Licht, kontrollieren jeden Schritt und segnen alles ab. Ein Kreisverkehr hingegen funktioniert anders. Es gibt eine klare Regel, an die sich alle halten müssen. Der Rest reguliert sich selbst. So muss heute gute Führung aussehen. Sie setzt die Regeln und vertraut darauf, dass die Beschäftigten sich daran halten. Dafür müssen gute Führungskräfte erkennen, dass sie bei der aktuellen Komplexität und den rasanten Veränderungen nicht mehr alles im Griff haben können. Viel wichtiger ist deshalb der intensive Austausch mit der Mitarbeiterschaft über den Verhaltenskodex, also die grundlegende Herangehensweisen an Arbeit und Miteinander: „Wir ergreifen Initiative, wenn etwas Ungewohntes vorliegt.“ „Wir suchen den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen.“ Oder: „Wir versuchen erst mal, ein Problem selbst zu lösen, bevor wir es hochdelegieren.“ Es geht also nicht mehr so sehr um den Austausch über das, was im Einzelnen getan wird. Das bedeutet aber nicht Chaos oder Anarchie. Die Führungskraft trägt nach wie vor die Verantwortung für das, was in ihrem Bereich passiert. Deshalb muss man einiges an Mut aufbringen, um loszulassen und darauf zu vertrauen, dass es funktioniert.

Servicestelle SGB II: Wie können Jobcenter es schaffen, eine solche gute Führung zu leben?
Dr. Ulrich Stadelmaier: Zunächst mal braucht es massive Selbstreflexion der Führungskräfte: Was ist meine Rolle? Was treibt mich an? Warum führe ich? Und nur wer wirklich führen will, kommt für die neue Form von Führung in Frage. Denn einfach die beste Fachkraft zur Führungskraft zu machen ist der falsche Ansatz. Wir müssen vielmehr auf grundlegende Kompetenzen blicken: Neues aneignen, mutig sein und sich bei allem nicht überfrachten. Und das, obwohl es in Jobcentern um Rechtssicherheit und damit auch um viele Regularien und starke Standards geht. Meine Erfahrung ist, dass man nichts abschließend regeln kann. Es gibt immer Freiräume und Entscheidungsspielräume. Manchen Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern ist das unangenehm, weil sie die Entscheidungsfreiheit nicht kennen. An dieser Stelle müssen Führungskräfte unterstützen. Daraus erwächst dann auch die Haltung gegenüber Führung und Mitarbeiterschaft. Wenn ich darauf vertraue, dass die Menschen Interesse daran haben, etwas zu bewegen und jeder mit seinen Aufgaben wachsen kann, dann führe ich ganz anders. Gerade das braucht es auch im Jobcenter. Jobcenter sollten deshalb vielmehr die Potenziale ihres Personals analysieren und herausfinden, wer sich aus dem Operativen lösen kann und die richtige Haltung mitbringt. Ich denke, das ist sehr wichtig.

Servicestelle SGB II: Hier berührt Führung die Personalentwicklung. Können Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Entwicklung unterstützen?
Dr. Ulrich Stadelmaier: Grundsätzlich ja, aber auf Grund der unterschiedlichen Persönlichkeiten oder Biografien nur eingeschränkt. Es gibt Eigenschaften, die Personen dazu befähigen, leichter zu lernen. Ganz grundlegend braucht es eine bestimmte geistige Leistungsfähigkeit, um die Fülle von Informationen im Kopf strukturieren zu können. Dann braucht es Handlungsorientierung, um unter Stress handlungsfähig zu bleiben. Um Positionen besetzen zu können, muss man außerdem systematisch diagnostizieren. Welche Positionen haben wir? Welche Anforderungen haben diese? Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir? Wie passen sie zu den Anforderungen? Daraus leiten sich Programme und eine systematische strategische Personalentwicklung ab. Daran fehlt es in vielen Behörden. In der Praxis kommt einfach der Seminarkatalog ins Spiel. Der wird an die Beschäftigten weitergegeben mit der Aufforderung, etwas daraus zu belegen. Aber es wird nicht drauf geschaut, für wen sich das wirklich lohnt und ob es zu den Anforderungen passt. Auch der Transfer wird nachher nicht kontrolliert: Hat die Fortbildung etwas gebracht? Wie muss man die Person weiterqualifizieren oder eben nicht mehr?

Servicestelle SGB II: Wie kann es gelingen, in Jobcentern strategisch an die Personalentwicklung heranzugehen?
Dr. Ulrich Stadelmaier: Da muss man unterscheiden zwischen der Struktur und den eigenen Kompetenzen. Führungskräfte brauchen zuerst einmal eine Leitung, die ganz klar dafür einsteht und sagt: Zwar bedeutet das einen Haufen Aufwand und sprengt alle Gewohnheiten. Aber ich als Leitung stehe voll dahinter, denn es ergibt langfristig strategisch Sinn. Zweitens brauchen Führungskräfte eignungsdiagnostisches Grundrüstzeug. Damit meine ich: Jede Führungskraft führt Einstellungsinterviews. Aber was man mit welchem Instrument herausfinden kann und was eine gute Anforderungsanalyse ist – das wissen die wenigsten. Rüstzeug bietet die DIN-Norm 33430. Sie bezieht sich auf die Eignungsbeurteilung von Personen. Das muss nicht jede Führungskraft selber können, aber sie sollte eine grobe Ahnung davon haben. In der Struktur braucht es deshalb auch Organisationseinheiten, die als Experten Wissen liefern können: Human Resources Management, Personalentwicklung oder sonstiges. Das ist das Mindeste – neben der nötigen Zeit.

Servicestelle SGB II: Ist ein solcher Prozess erst mal aufgesetzt, folgen weitere Herausforderungen.
Dr. Ulrich Stadelmaier: Genau. Und auch hier spielt die Persönlichkeit der Führungskraft eine große Rolle. Es braucht engagierte Leute, die bereit sind, einen extra Aufwand zu leisten. Dinge zu tun, die eigentlich nicht zur originären Aufgabe gehören. Das frisst viel Zeit, die für die eigentliche Arbeit fehlt. Auch das muss die Leitung von vornherein unterstützen, um die engagierten Führungskräfte nicht zu frustrieren.

Servicestelle SGB II: Was haben Jobcenter davon, sich für eine strategische Personalentwicklung einzusetzen?
Dr. Ulrich Stadelmaier: Langfristig haben sie davon, dass sie endlich planen können. Wenn ich es gut dokumentiert und sauber aufgesetzt habe, dann weiß ich um den Pool an Kompetenzträgern in der Mitarbeiterschaft. Dann weiß ich, dass es Beschäftigte gibt, mit denen wir schnell reagieren können, wenn jemand wegfällt – etwa mit Nachbesetzung oder neuer Aufgabenverteilung. Letzten Endes geht es darum, nicht immer wieder das Rad neu zu erfinden: die Anforderungen noch mal anzugucken, die Aufgaben noch mal umzuverteilen, die Möglichkeiten noch mal auszuloten. Sondern einen Prozess zu haben. Das ist vollkommen im Sinne der Jobcenter, weil es alles viel stärker strukturiert und bei unerwarteten Personalherausforderungen Lösungen aufzeigt.