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"Wenn es anfängt zu bröckeln, kommen die Leute zu uns."

31. Oktober 2018

Posttraumata, Depressionen oder Sucht – Tausende Soldaten kehren mit psychischen Erkrankungen aus dem Einsatz zurück. Viele davon landen irgendwann bei Oberstarzt Dr. Peter Zimmermann und seinen Kollegen des Berliner Bundeswehrkrankenhauses. Im Gespräch erzählt der Mediziner, welchen Belastungen Soldaten heute ausgesetzt sind und warum die Krankheitsbilder teilweise mit denen von Arbeitslosen vergleichbar sind.

Portrait von Peter Zimmermann, er trägt eine Uniform mit Schulterabzeichen.
Oberstarzt Dr. Peter Zimmermann leitet das Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Quelle: Pressestab BMVg

Servicestelle SGB II: Herr Dr. Zimmermann, durch Ihren Beruf haben Sie täglich mit Menschen zu tun, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Mit was für Fällen sind Sie da konfrontiert?
Dr. Peter Zimmermann: Wenn Soldaten aus dem Einsatz wiederkommen, ist die häufigste Erkrankung die Agoraphobie. Übersetzt bedeutet das: die Angst vor dem Marktplatz. Diese Personen haben außerhalb sicherer Räumlichkeiten die unbestimmte Angst, dass etwas passieren könnte. Das führt dazu, dass sie in Panik geraten können. Hinzu kommen affektive Erkrankungen wie Depressionen. Auch Suchterkrankungen sind weit verbreitet. Nicht zuletzt psychosomatische Störungen und posttraumatische Belastungsstörungen.

Servicestelle SGB II: Wie verbreitet sind solche psychischen Störungen bei der Bundeswehr?
Dr. Peter Zimmermann: Mehr als 20 Prozent der Soldaten kehren mit psychischen Erkrankungen aus dem Einsatz zurück. Rund die Hälfte leidet davon unter Agoraphobie. Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass jährlich einige Tausend Soldaten im Auslandseinsatz sind, kommt da eine beachtliche Zahl zusammen.

Servicestelle SGB II: Was sind das für Ereignisse, die Soldaten aus der Bahn werfen?
Dr. Peter Zimmermann: Genauere Untersuchungen gibt es dazu nicht. Die Einsatzrealität hat sich jedoch zuletzt etwas geändert. Vor einigen Jahren waren es vor allem lebensgefährliche Bedrohungen, mittlerweile haben sich moralische Verletzungen in den Vordergrund geschoben. Allerdings muss man wissen: Der Auslöser für ein Trauma kann durchaus in der Vergangenheit liegen. Nehmen wir den Kosovo mit seinen Massengräbern. Das war 1999. Es gibt Soldaten, die damals ihre Traumatisierung erlitten haben und jetzt erst zu uns kommen. Probleme treten immer dann zutage,
wenn die Bilanz aus schützenden und belastenden Einflüssen nicht mehr stimmt. Wenn es da anfängt zu bröckeln, kommen die Leute zu uns.

Servicestelle SGB II: Sie sprechen von moralischen Verletzungen. Was versteht man darunter?
Dr. Peter Zimmermann: Alle brauchen erst mal das Verständnis dafür, warum das sinnvoll ist: Es ist kosteneffizienter, es macht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter glücklicher, und man bekommt bessere neue Leute, wenn die Jobprofile spannender ausgestaltet sind. Das sind Dinge, die ineinandergreifen. Und wenn das verstanden worden ist, von der Führungskraft und von den Beschäftigten, dann muss man gemeinsam daran arbeiten, diese Freiräume zu schaffen und die Verantwortung zu übertragen.

Servicestelle SGB II: Das klingt nach einem speziellen Problem der Bundeswehr. Lässt sich das auch auf den zivilen Bereich übertragen?
Dr. Peter Zimmermann: Das ist durchaus übertragbar. Nehmen wir einen Mann, Mitte 50. Ein langjähriger Angestellter, der sich hochgearbeitet hat und jetzt plötzlich auf der Straße steht. Nach Jahren hochgeschätzter und intensiver Tätigkeit wird er plötzlich nicht mehr wahrgenommen. Freunde und Gesellschaft wenden sich ab. Er fühlt sich wertlos. Er hat das Gefühl, seine Lebensleistung wird nicht anerkannt. Dieses Wertlosigkeitsgefühl ist durchaus mit der Lage von betroffenen Soldaten vergleichbar.

Servicestelle SGB II: Zu Ihnen kommen Menschen, die wissen, dass sie ein Problem haben. Das ist in Jobcentern häufig nicht der Fall. Zudem sind die Mitarbeitenden dort meist keine Psychologinnen und Psychologen. Können Sie ihnen einen Rat geben, worauf sie achten müssen?
Dr. Peter Zimmermann: Es gibt ein paar Warnsymptome: Schlafstörungen zum Beispiel. Die merkt man manchen Personen auch an. Weil sie Ringe unter den Augen haben, müde oder unkonzentriert wirken. Man sollte fragen: Warum schlafen Sie schlecht? Das kann ein erster Einstieg sein. Wenn jemand nach Alkohol riecht oder gerötete Augen hat – was auf Cannabis hinweist – dann sollte man das auch ansprechen. Wenn es jemand vermeidet, über bestimmte Situationen zu sprechen, dann ist das ein Hinweis darauf, dass da etwas fehlverarbeitet wurde. Wenn also jemand plötzlich schweigt und sich schützt, sollte man hellhörig werden. Auch familiäre Probleme sind ein Ansatzpunkt. Sie können sowohl Folge als auch Ausgangspunkt psychischer Erkrankungen sein. Weitere Punkte können Antriebsstörungen, Freud- oder Kraftlosigkeit sein.

Servicestelle SGB II: Gibt es außer den verschiedenen Therapieformen etwas, um psychisch Kranke zu unterstützen?
Dr. Peter Zimmermann: Es gibt schon etwas, das der vortherapeutische Sektor machen kann. Ein Gespräch ist zum Beispiel immer gut. Die Krankheit sollte nicht totgeschwiegen werden. Dabei sollte es aber nicht so weit gehen, dass man die Kranken bedrängt. Es geht um ein freundliches, akzeptierendes Gesprächsangebot. Zudem ist eine leichte Tätigkeit heilungsfördernd. Auch hier gilt: keine überlastende Burn-out-Tätigkeit, sondern etwas, durch das die Person im Leben bleibt. Auch wenn ich die Instrumente der Jobcenter nicht so gut kenne, kann etwa der Ein-Euro-Job oder Ähnliches eine gute Möglichkeit dafür sein. Im besten Fall gekoppelt mit Bewegung oder Sport und sozialen Kontakten.