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So einzigartig wie möglich

31. Oktober 2018

Damit sie im Berufsleben langfristig eine Chance haben, lässt das Jobcenter Hameln-Pyrmont ehemalige Arbeitslose nicht allein.

Hände in Hygienehandschuhen bereiten Salat zu.
Im Seminar "Gesunde Ernährung – gemeinsam zubereitet" zeigt das Jobcenter Jobcenter Hameln-Pyrmont, wie man sich günstig und gesund ernähren kann. Quelle: Jobcenter Hameln-Pyrmont

Kochlöffelschwingen in Hameln. Das Jobcenter veranstaltet das Seminar „Gesunde Ernährung – gemeinsam zubereitet“. Als das Geschirr klappert, der dampfende Kochtopf mit Bolognese-Sauce auf den Tisch gehievt wird und Teller und Gläser verteilt werden, ist das wieder so ein Moment, in dem sich Wolfgang Lückewille von seinem Jobcenter ernst genommen fühlt. „Früher, da war ich nur eine Nummer“, schaut Lückewille auf die ersten Jahre seiner Arbeitslosigkeit zurück. „Aber jetzt fühle ich mich als Persönlichkeit wahrgenommen.“ Dieses „jetzt“ begann für ihn mit dem Programm „Perspektive Arbeit“. Lückewille, 62 Jahre alt, ist seit Mai 2017 Kunde in diesem Programm des Jobcenters Hameln-Pyrmont, das durch den Europäischen Sozialfonds finanziert wird.

Nachdem seine Selbstständigkeit als Sozialpädagoge den Bach runtergegangen war, meldete er sich arbeitslos. Sechs Jahre später suchte er sich ein Ehrenamt beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), betreute nachmittags Schülerinnen und Schüler. Bis sich eines Tages alles glücklich fügte: Das Jobcenter schlug Lückewille vor, doch mal beim DRK nach einer festen, wenngleich vom Jobcenter geförderten Stelle nachzufragen. Und als er das tat, eröffnete ihm das DRK, dass es sowieso schon darüber nachgedacht hatte, ihn auf dieser Basis einzustellen. Zehn Jahre ohne eigenes Einkommen waren schlagartig vorbei.

Das Projekt „Perspektive Arbeit“ bietet Menschen, die lange Zeit arbeitslos waren und wieder einen Job finden konnten, umfassende Unterstützung, damit sie dauerhaft im Arbeitsleben Fuß fassen. Lückewille hat nun einen 20-Stunden-Job als sozialpädagogischer Assistent. Die Unterstützung in Einzelgesprächen und Gruppencoachings, die er durch das Programm des Jobcenters bekam, das sagt er offen und deutlich, „die hat mir sehr geholfen“.

Im Jobcenter Hameln-Pyrmont arbeitet eine Sozialpädagogin, die genau diese Art der Unterstützung organisiert. Jennifer Tegtmeier ist Fallmanagerin bei den Netzwerken ABC. Ihre Kundinnen und Kunden sind Langzeitarbeitslose, die motiviert sind zu arbeiten, aber ziemlich weit weg vom Arbeitsmarkt sind. „Marktfern“ heißt das im Jobcenter-Jargon. Das können Menschen sein, die über 50 Jahre alt, die gesundheitlich angeschlagen oder mit psychischen Problemen belastet sind. Doch trotz der Hürden, die sich vor ihnen auftun, haben sie alle die gleiche Einstellung: Sie wollen wieder ihr eigenes Geld verdienen.

Das Team der Netzwerke ABC will diese Menschen so individuell wie möglich auf dem Weg dahin begleiten. „Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden den Rücken stärken“, so beschreibt es Jennifer Tegtmeier. Die Mitarbeitenden tun das mit einem breit angelegten Netzwerk zu anderen Institutionen wie Wohlfahrtsverbänden, Bildungsträgern und den Tafeln sowie mit selbst durchgeführten Trainings und Workshops, die in ihrer thematischen Breite vieles zwischen praktischer Lebenshilfe, persönlicher Stabilisierung und konkreter Arbeitssuche abdecken. Es gehören Kurse zu gesunder Ernährung und zu Stressbewältigung oder Seminare zu Haushaltsplanung dazu genauso wie Motivations- und Bewerbungstrainings. Gegeben werden sie alle selbst von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Netzwerke ABC. Die Fachkenntnis dazu haben sie im ehemaligen Programm „Perspektive 50plus“ erworben.

Das Netzwerken wünscht sich Tegtmeier auch von ihren Kundinnen und Kunden. Und zwar genau in diesen Seminaren. Die Teilnehmenden sollen sich untereinander austauschen, ihre Situationen besprechen, sich gegenseitig Tipps geben. Das ist auch für Wolfgang Lückewille ein wichtiger Faktor. Einmal im Monat nimmt er an einem Gruppencoaching teil. „Zu diesen regelmäßigen Seminaren gehe ich gern hin“, sagt er. Er freue sich immer, wenn er sehe, dass auch die anderen noch in Arbeit sind. „Es ist ein Gemeinschaftserlebnis“, sagt er. „Und man lernt immer etwas hinzu.“ Er gibt aber auch zu, dass er den Coachings anfangs skeptisch gegenüberstand: „Klar, zuerst dachte ich: Was soll das? Aber ich muss sagen, das ergibt alles Sinn und hat Hand und Fuß. Es geht darum, die Leute dort abzuholen, wo sie sind, nämlich relativ weit unten,“ sagt er.

Das Zertifikat von Claudia Fraatz steht neben einer Blumenvase.
Erfolgreich absolvierte Claudia Fraatz die Ausbildung zur Agenturassistentin. Quelle: Jobcenter Hameln-Pyrmont

In solchen Trainings sitzt seit einigen Jahren auch Claudia Fraatz. Die Hamelnerin schritt durch ein langes Tal, bevor sie 2013 mit einem erfolgreichen Anruf auf eine Stellenanzeige zur Telefonistin ins Arbeitsleben zurückfand. Zuvor war sie nach einer Scheidung dem Abgrund entgegengestrudelt. Sie hörte auf zu arbeiten, trank Alkohol, nahm Dutzende Kilos zu und ließ sich auf zweifelhafte Freunde ein, um nach Jahren des Kopf-in-den-Sand-Steckens schließlich im Frauenhaus Zuflucht zu suchen. 2009 war das. Dort, im Frauenhaus, kümmerte man sich um sie und half ihr, sich arbeitslos zu melden. „Das war die Wende“, erzählt sie heute mit einem Aufatmen. Hilfe bekam sie auch in den folgenden Jahren: vom Jobcenter, von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projektes „Perspektive 50plus“ und anschließend der Netzwerke ABC. Über Jahre hinweg haben sie mit Claudia Fraatz eine Vertrauensverhältnis aufgebaut, im Fachjargon nennen sie das: „ein Arbeitsbündnis“. „Sie haben mir Stabilität und Sicherheit gegeben“, blickt Claudia Fraatz zurück. „Es gab nicht nur Gespräche über meine berufliche Zukunft, sondern sie alle haben mir geholfen und mich darin bestärkt, einen neuen Weg zu gehen. Sie haben sich meine Sorgen angehört und wir haben über meine gesundheitlichen Probleme und über meine Vergangenheit gesprochen. Ich würde sagen: Sie haben mich aufgefangen.“

2013 fing Claudia Fraatz an, in einer Agentur Termine für den Außendienst zu koordinieren. Zunächst auf Minijob-Basis, dann mit 20 Stunden pro Woche. Genug war ihr das nicht. Immer wieder ließ sie ihren Chef wissen, dass sie weiterkommen will. Und der stand von Anfang an voll hinter ihr. Im vergangenen Jahr begann sie in ihrer Agentur schließlich eine Ausbildung zur Agenturassistentin. Da war sie 53 Jahre alt. Nicht ihr einziger Erfolg. Zur selben Zeit schaffte sie es, ihre Gesundheit zu stärken. Sie reduzierte ihr Körpergewicht von 120 Kilo auf 65 Kilo. Jetzt steuert sie ihr nächstes Ziel an: eine Vollzeitbeschäftigung. „Das schaffe ich auch noch!“, sagt sie. Ihre Stimme klingt dabei so fest, wie ein Ausrufezeichen steht.