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Mit Herz, Humor – und in der Muttersprache: Wie das Jobcenter Coburg Land Ukraine-Geflüchtete berät

25. August 2022

Zahlreiche Ukraine-Geflüchtete kamen nach Oberfranken. Um sie fundiert unterstützen zu können, stellte das Jobcenter Coburg Land kurzerhand eine ukrainische Muttersprachlerin ein. Gemeinsam mit einer erfahrenen Arbeitsvermittlerin berät sie die Leistungsberechtigten nun im Duo. Wie funktioniert die Tandemberatung?

Michaela Schrodt und Tetiana Nikolenko lassen sich am Arbeitstisch von der Leistungsberechtigten etwas auf einem Smartphone zeigen.
Michaela Schrodt und Tetiana Nikolenko. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Als es darum geht, die Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, scherzt Elena Savchenko*: Ich kaufe jetzt aber keine Waschmaschine, oder?, fragt sie und beginnt zu lachen. Schnell übersetzt Tetiana Nikolenko die Frage für ihre Kollegin Michaela Schrodt, dann stimmen auch die beiden mit in das Gelächter ein. Die Stimmung ist heiter und herzlich, doch der Grund, warum die drei Frauen an diesem Mittwoch im August zusammensitzen, ist ernst: Savchenko ist eine von 267 Geflüchteten aus der Ukraine, die das Jobcenter Coburg Land zu diesem Zeitpunkt betreut.

Arbeitsvermittlerin und Übersetzerin bilden Beratungstandem

Zwei der wichtigsten Ansprechpersonen sind Arbeitsvermittlerin Schrodt und ihre Kollegin Nikolenko, die als ukrainische Muttersprachlerin Begriffe wie „Eingliederungsvereinbarung“ und „Mitwirkungspflicht“ erklärt und die Fragen der Geflüchteten übersetzt. Für Schrodt ist die Betreuung Geflüchteter kein Neuland: Bereits seit dem Jahr 2016 ist sie Arbeitsvermittlerin mit dem Schwerpunkt Flucht im Jobcenter Coburg Land. Sie erzählt: Als feststand, dass die Jobcenter die Betreuung der Ukrainerinnen und Ukrainer übernehmen werden, war sofort klar, dass ich bei uns im Haus für die Arbeitsvermittlung zuständig sein werde. Meine afghanischen und syrischen Leistungsberechtigten sind inzwischen großteils integriert. Ich hatte also zum Glück genügend Kapazitäten.“ Nachdenklich ergänzt sie: „Sofern man überhaupt von ‚Glück‘ sprechen kann.

Jobcenter Mitarbeiterin Tetiana Nikolenko erklärt der Leistungsberechtigten etwas am Tisch und zeigt auf ein Formular.
Arbeitsvermittlerin Michaela Schrodt arbeitet am PC, während Tetiana Nikolenko der Leistungsberechtigten etwas erklärt. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Anders als bei der vorherigen Flüchtlingswelle steht Schrodt diesmal von Beginn an eine Muttersprachlerin zur Seite. Nikolenko lebt seit dem Jahr 2019 in Deutschland und hat vor kurzem, zusätzlich zu ihrem ukrainischen Masterabschluss, ihr deutsches BWL-Masterstudium beendet. Warum sie noch einmal an die Hochschule zurückgekehrt ist? Ich habe gemerkt, dass man mit einem deutschen Abschluss etwas leichter einen Job findet. Die Arbeitgeber haben mehr Sicherheit, erläutert sie mit zurückhaltender Stimme. Verlorene Zeit seien die zusätzlichen Studienjahre für sie nicht gewesen: Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt und bin jetzt deutlich gestärkter. Und ich habe jetzt zig Diplome, fügt Nikolenko ruhig, aber verschmitzt hinzu.

Nikolenko ist durch Zufall an ihren Job gelangt

Dass sie nun als studierte Betriebswirtschaftlerin im Jobcenter in Beratungsgesprächen für die Ukraine-Geflüchteten dolmetscht, ist durch einen großen Zufall zustande gekommen. Kurz vor Ende meines Studiums habe ich mich bei der Arbeitsagentur als arbeitsuchend gemeldet. Dann kam ein Anruf von meiner Arbeitsvermittlerin: Das Jobcenter Coburg Land suche dringend nach einer ukrainischen Muttersprachlerin oder einem Muttersprachler, um für die ab Juni 2022 beginnenden Beratungen vorbereitet zu sein. Seit Beginn der Beratungen übersetzt Nikolenko nun im Jobcenter – zunächst in Gruppeninformationsveranstaltungen, und seit Ende Juli auch in Einzelberatungen.

Michaela Schrodt sitzt an ihrem Schreibtisch und stellt Kateryna Yurchenko im persönlichen Gespräch Wege ins Erwerbsleben vor.
Michaela Schrodt stellt Kateryna Yurchenko mehrere Wege ins Erwerbsleben vor. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Zunächst also die Gruppenveranstaltungen: Zu diesen lud das Jobcenter Coburg Land jeweils 50 bis 60 aus der Ukraine Geflüchtete ein, als der Rechtskreiswechsel wirksam wurde. Auf der Agenda standen Punkte wie „Was macht das Jobcenter? Warum laden wir heute ein? Wie sieht die persönliche Situation aus – Sprachkurs, Kinderbetreuung, Arbeit?“; am Ende wurden offene Fragen geklärt. Und noch immer gibt es viele Fragen zu klären – deshalb empfangen Schrodt und Nikolenko nun einzeln.

Minijob neben dem Sprachkurs? Manchmal muss Schrodt bremsen

Auch Savchenko hat zahlreiche Fragen mit in ihr erstes Einzelgespräch gebracht – fein säuberlich notiert in einem Notizbuch, das sie unmittelbar nach der Begrüßung schwungvoll aufklappt. Daneben legt sie einen Stapel mit Dokumenten und Briefen. Als Schrodt nach ihren persönlichen und beruflichen Plänen fragt und Nikolenko übersetzt, antwortet Savchenko ad hoc und sehr ausführlich. In ihrer Heimatstadt Dnipro habe sie als Modeverkäuferin gearbeitet, noch lieber wolle sie aber „etwas mit Blumen machen“ – ob es da die Möglichkeit für eine Weiterbildung gäbe? Außerdem wolle sie neben ihrem Sprachkurs, der bald startet, sehr gerne arbeiten – zum Beispiel auch einen Minijob als Putzkraft, dolmetscht Nikolenko.

Schrodt bremst Savchenkos Eifer etwas. Sind Sie sich sicher, dass Sie neben dem Sprachkurs und der Betreuung Ihrer beiden Kinder auch noch einen Minijob stemmen möchten? Vielleicht schauen Sie erstmal, wie Sie sich mit dem Sprachkurs fühlen. Dann können wir in ein paar Wochen noch einmal gemeinsam reden, wie es mit einem Minijob passen würde. Auch auf die Weiterbildungsfrage hat Schrodt eine Antwort parat. Für eine Ausbildung zur Floristin sei mindestens ein Sprachniveau von B2 erforderlich. Sobald Sie mit dem Sprachkurs Ende November fertig sind, laden wir Sie noch einmal zum Gespräch ein, schlägt Schrodt vor.

Michaela Schrodt markiert ihre E-Mail-Adresse auf ihrer Visitenkarte.
Michaela Schrodt markiert ihre E-Mail-Adresse auf ihrer Visitenkarte. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Im Gespräch klären die drei Frauen viele weitere Punkte. Von der passenden Berufsschule für Savchenkos 15-jährigen Sohn über niedrigschwellige Quellen zum Deutschlernen bis hin zu Details, auf die bei einem möglichen Adresswechsel zu achten ist. Zwischen Schrodt, Nikolenko und Savchenko fliegen die Sätze auf Deutsch und Ukrainisch wie Pingpongbälle hin und her. Bei weiteren Fragen könne sich Savchenko zwischenzeitig auch gern per Mail melden, bietet Schrodt an: Sie können mir auch auf Ukrainisch schreiben. Meine Kollegin übersetzt das dann für mich. Am Ende des fast einstündigen Gesprächs bedankt sich Savchenko: Ich habe mehr erfahren, als ich glaubte, an Fragen zu haben.

Anerkennung von Abschlüssen ist häufige Frage

Eine Verschnaufpause bis zum nächsten Gespräch gibt es nicht für Schrodt und Nikolenko. Oksana Popova, adrett gekleidet in weißer Bluse, begrüßt die beiden zunächst etwas schüchtern – und zieht dann zwei dicke Ordner aus ihrem Rucksack. Darin enthalten: Diplome, Zertifikate, Nachweise über Weiterbildungen. Mit Ihrer Qualifizierung könnten Sie im Grunde sofort einen Job in Deutschland aufnehmen, merkt Schrodt an. Popova hat einen ukrainischen Abschluss, der mit einem deutschen Master in Wirtschaftswissenschaften zu vergleichen ist, und mehrere Jahre in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet, die unter anderem einer Bank auf die Finger geschaut hat. Regelmäßige Schulungen und Fortbildungen seien Pflicht gewesen und die Arbeit sehr anspruchsvoll, daher die vielen Dokumente, erläutert Popova – auf Deutsch. Bitte sagen Sie mir, wie werden die Zertifikate anerkannt?, fragt sie. Deutsch habe sie in der Schule gelernt und jetzt wolle sie ihre Kenntnisse ausbauen. Schrodt und Nikolenko blicken sich kurz an, und Nikolenko grinst: Dann mache ich jetzt wohl Pause.

Die Vorteile der Vorort-Übersetzung

Ganz ohne Übersetzungshilfe geht es dann aber doch nicht. Als Schrodt Popova das IQ Netzwerk und ein Coachingprogramm über einen Bildungsträger in Coburg empfiehlt – um alle Zertifikate übersetzen zu lassen und beruflich weiterzukommen –, springt Nikolenko ein. Mit lebhaften Gesten erläutert sie den modularen Aufbau des Programms, beschreibt das IQ Netzwerk und markiert die Namen wichtiger Ansprechpersonen auf einem Ausdruck. Ab und an wechselt Popova zwischendurch wieder ins Deutsche, während sie Nikolenko zuhört – zum Beispiel für die Fragen, ob sie eine Weiterbildung machen und ihre Unterlagen künftig per E-Mail einsenden könne. Nach rund 40 Minuten sind die ersten drängenden Fragen geklärt. Herzlichen Dank, sehr angenehm, verabschiedet sich Popova, nachdem auch sie die Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet hat.

Michaela Schrodt und Tetiana Nikolenko im Gespräch am Arbeitstisch.
Michaela Schrodt und Tetiana Nikolenko bilden ein Beratungsduo. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Schrodt und Nikolenko können ein paar Minuten durchatmen und einen Schluck Wasser trinken. „Anfangs habe ich so viel erklärt und geredet, dass ich abends nicht mehr reden konnte“, verrät Nikolenko lachend in der kurzen Pause. Es ist wirklich etwas ganz anderes, wenn meine Kollegin hier mit mir in den Beratungen sitzt und alles übersetzt, ergänzt Arbeitsvermittlerin Schrodt. Natürlich könnte ich auch die Dolmetscherhotline oder andere Angebote nutzen, aber dann würde ich den Hörer so in die Mitte halten – Schrodt demonstriert das umständliche Unterfangen mit dem Kabeltelefon – und das Gespräch liefe längst nicht so flüssig. Die aktuelle Lösung sei bei weitem die beste: nicht nur für die direkten Übersetzungen, sondern auch, um interkulturelle Feinheiten besser verstehen zu können.

„Meine Kündigung ist mir sehr schwergefallen“, sagt eine Geflüchtete

Viele Unterlagen, Nachweise und noch mehr Fragen hat auch Kateryna Yurchenko mit in ihr erstes Einzelgespräch gebracht. Auf Schrodts Frage, ob sie plane, längere Zeit in Deutschland zu bleiben, antwortet Yurchenko schnell und energisch. Anfangs hatten wir noch die Hoffnung, bald wieder zurückkehren zu können. Inzwischen planen wir aber, ein Leben in Deutschland aufzubauen – auch wegen des Kindes, übersetzt Nikolenko ebenso schnell. Yurchenkos Heimatstadt Charkiw wurde in den ersten Kriegswochen schwer zerstört, die Rückkehr zur Normalität liegt in weiter Ferne. Im Beratungsgespräch stehen die Erlebnisse aber nicht im Mittelpunkt: Auch Yurchenko möchte wissen, wie sie nun schnellstmöglich in Deutschland arbeiten und die Sprache lernen kann.

Michaela Schrodt sitzt an ihrem Schreibtisch und stellt Kateryna Yurchenko im persönlichen Gespräch Wege ins Erwerbsleben vor.
Michaela Schrodt stellt Kateryna Yurchenko mehrere Wege ins Erwerbsleben vor. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Dafür hat sie sich gründlich vorbereitet und bereits ihre wichtigsten Abschlüsse und Zertifikate zur Anerkennungsberatung von MigraNet, dem bayerischen Landesnetzwerk des IQ Netzwerkes, geschickt. Mit einem Blick auf die vorliegende Antwort erkennt Schrodt schnell, dass Yurchenko hochqualifiziert ist – sich ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt aber dennoch schwieriger gestalten dürfte: Yurchenko hat unter anderem einen Abschluss in Rechtswissenschaften, der in Deutschland nicht eins zu eins anerkannt werden kann. Lange Zeit hat sie bei der ukrainischen Polizei gearbeitet – zuletzt als Ermittlerin mit dem Dienstgrad Polizeileutnant. Ich habe 14 Jahre hart auf diese Stelle hingearbeitet, berichtet sie. Meine Kündigung ist mir sehr schwergefallen. Ihre Verwandten, die seit 20 Jahren in Deutschland leben und auch die Sprache sprechen, hätten sie aber in ihrer Entscheidung unterstützt und sie ermutigt.

Ukrainische Besonderheit: das Arbeitsbuch

Schrodt blickt nochmals auf die MigraNet-Antwort und erläutert Yurchenko dann mehrere Wege, die sie jetzt gehen könnte. Auch ein Coaching bei dem Bildungsträger ist wieder darunter. Als Nikolenko ihr diese Option übersetzt, nickt Yurchenko zielstrebig. Ob sie zudem ein Praktikum, beispielsweise in einer Kanzlei, machen könne, um deutsch sprechen zu üben? Dies wäre sicher in ein paar Monaten möglich. Darüber werden wir nochmal reden. Als Erstes würde ich aber erstmal Ihre gesamten Dokumente übersetzen lassen und Ihnen nach Hause schicken, schlägt Schrodt vor.

Denn von den Dokumenten hat Yurchenko zahlreiche. Ein vollständig gefülltes Arbeitsbuch, um genau zu sein. Arbeitsbücher seien eine ukrainische Besonderheit im Vergleich zu Deutschland, erklärt Nikolenko: Alles, was in deinem Arbeitsleben passiert, wird in dein Arbeitsbuch eingetragen. Fortbildungen, Abschlüsse, Jobwechsel – alles. Wir bekommen nicht für jeden neuen Job einen extra Vertrag, den wir abheften müssen, sondern einen Eintrag ins Arbeitsbuch.

Tetiana Nikolenko erläutert die Mietobergrenzen auf einer ausgedruckten Tabelle.
Tetiana Nikolenko erläutert die Mietobergrenzen. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Während Nikolenko für Yurchenko ausführlich darlegt, worauf sie beim angestrebten Umzug in die Stadt zu achten hat und ihr die Mietangemessenheitsgrenzen zeigt, bereitet Schrodt die Eingliederungsvereinbarung vor. Punkt für Punkt gehen die drei Frauen den „Vertrag“, wie Schrodt die Vereinbarung beschreibt, gemeinsam durch. Als Nikolenko erläutert, was es mit dem Sanktionsmoratorium auf sich hat, lacht Yurchenko: Ja, auch in der Ukraine gibt es Strafen, wenn man einen Vertrag bricht. Das sollte man lieber nicht ausprobieren. Mit dem heutigen Gespräch sei sie sehr zufrieden, verrät Yurchenko am Ende. Vielen Dank, verabschiedet sie sich auf Deutsch mit einem Lächeln.

Deutsche und ukrainische Jobcenter sind nicht zu vergleichen

Drei Gespräche mit drei Frauen, die sehr unterschiedliche Werdegänge und Berufe haben – genau diese Abwechslung schätze sie an ihrem Beruf, erzählt Schrodt, als die Beratungen vorüber sind: Ich weiß meist nicht, was mich im nächsten Gespräch erwartet. Nichterscheinen zu Terminen habe es bei den Ukrainerinnen und Ukrainern übrigens noch nicht gegeben, und weiter: Die Mehrheit der Betreuten fordert uns im besten Sinne. Die Gespräche sind keine Einbahnstraße, sondern leben von konkreten Nachfragen. Auch die vielfältigen Berufsbilder sind sehr spannend. Die meisten der Ukraine-Geflüchteten hätten zudem ihre Nachweise dabei. Im Gegensatz zum Jahr 2015 konnten viele ihre Flucht planen und sich entsprechend vorbereiten, berichtet Schrodt.

Auch Nikolenko hat Freude an ihrer Arbeit im Jobcenter. Anders als beispielsweise in einem Industriejob merke ich hier, dass ich den Menschen helfen kann. Das gefällt mir sehr – und ich kann davon meine Miete bezahlen, schiebt sie mit einem Grinsen hinterher. Im Gegensatz zum Beginn der Gespräche, als sie ihre deutschen Worte noch mit Bedacht gewählt und leise gesprochen hat, ist ihre Stimme nun fest und selbstbewusst – ähnlich wie ihr Tonfall in ihrer Muttersprache.

Mit ukrainischen Jobcentern seien die deutschen übrigens überhaupt nicht zu vergleichen, fährt Nikolenko fort. In der Ukraine werde noch immer sanktioniert, und das auch viel schneller und strenger. Nach sechs Monaten Erwerbslosigkeit würden die Zahlungen bereits ein erstes Mal gekürzt. Mietzuschüsse gebe es zudem gar nicht. Es ist auch nicht so, dass man sich nur auf die Angebote bewerben darf, die einem zusagen. Man muss sich immer auf alles bewerben, auch wenn man die Vorschläge nicht gut findet, so Nikolenko.

Tetiana Nikolenko empfängt Kateryna Yurchenko zum Gespräch.
Tetiana Nikolenko empfängt Kateryna Yurchenko zum Gespräch. Quelle: Marian Lenhard / Servicestelle SGB II

Deutsche Vorliebe für feste Termine sorgte anfangs für Stirnrunzeln

Ein weiterer großer Unterschied zur Ukraine sei die Vorliebe der Deutschen, für alles – nicht nur für Behördengänge – einen festen Termin zu vereinbaren. Bei uns kommt man meist einfach vorbei. Anfangs musste ich das den Menschen erklären. Ich habe dann gesagt ‚Aber es ist doch praktisch, wenn ich weiß, was ich montags, dienstags oder Donnerstagnachmittag mache, der Tag ist viel strukturierter‘, berichtet Nikolenko. Seit Betreuungsbeginn durch die Jobcenter habe sich bei vielen aber nicht nur die Einstellung zu Terminen geändert, sondern auch gegenüber Behörden generell. „Viele Menschen hofften anfangs, bald wieder in die Ukraine zurückkehren zu können. Sie haben erstmal abgewartet und waren zurückhaltend. Inzwischen merken sie, dass ihnen hier niemand etwas Böses will, sondern dass es um Unterstützung geht.“ Die Nachfrage nach Sprachkursen sei daher zuletzt deutlich gestiegen: Zahlreiche der Betreuten realisieren, dass sie schneller einen Job bekommen und sich zurechtfinden werden, wenn sie Deutsch sprechen. Wie viele wirklich längerfristig bleiben oder doch so bald wie möglich zurückkehren möchten, lasse sich aber am Ende nicht pauschal sagen.

Ob es für sie selbst, nach all ihren Jahren in Deutschland und mit fließenden Sprachkenntnissen, noch etwas gibt, was sie nur bedingt versteht? „Das deutsche Behördensystem“, antwortet Nikolenko ohne zu zögern. In Deutschland gibt es viel mehr Behörden: das Landratsamt, das Schulamt, die Jobcenter Coburg Stadt und Land – um nur einige hier aus der Nähe zu nennen. Und jedes Amt macht etwas anderes. Wie soll man sich das alles merken?

* Die Namen der Leistungsbeziehenden sind im Text auf deren Wünsche hin geändert.