Navigation und Service

Völlig unterschiedliche Anforderungen

Die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA) Irene Pawellek im Gespräch über ihre Arbeit und weibliche Geflüchtete im Jobcenter Gelsenkirchen.

Porträtfoto von Irene Pawellek
Irene Pawellek, BCA im Jobcenter Gelsenkirchen Quelle: BMAS/Schmüdderich

Servicestelle SGB II: Wie viele geflüchtete Menschen betreut aktuell das Jobcenter Gelsenkirchen?

Irene Pawellek: Bei uns in Gelsenkirchen leben aktuell über 3.400 Asylbewerber und Asylbewerberinnen verschiedenster Nationalitäten, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Davon sind ca. 30 Prozent Frauen. Wie bei den Männern auch, gibt es bei den geflüchteten Frauen sehr unterschiedliche Sprachkenntnisse und Bildungsniveaus.

Servicestelle SGB II: Was erwartet geflüchtete Frauen im Jobcenter?

Irene Pawellek: Die erste Anlaufstelle im Jobcenter ist der speziell eingerichtete Integration Point. Der Integration Point richtet sich an Menschen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit. Ohne Zeitverlust soll deren Integration in Ausbildung und Arbeit in die Wege geleitet werden. Parallel dazu läuft das Asyl-Anerkennungsverfahren. Dieses Zeitfenster wird genutzt, beispielsweise für die Klärung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, für die Berufsberatung, für Sprachkurse sowie für die berufliche Qualifizierung. Die Vermittlung von Betriebspraktika oder Ausbildungs- und Arbeitsstellen kann so frühzeitig starten.

Servicestelle SGB II: Und wo kommen Sie dann als BCA hinzu?

Irene Pawellek: Die BCA wird dann herangezogen, wenn es bei den geflüchteten Frauen um das Ankommen geht, um die Kinderbetreuung oder den Schulbesuch der Kinder. Die meisten Frauen sind bereits seit einigen Wochen oder gar Monaten hier. Aber es gibt in der Regel noch viele offene organisatorische Fragen, die Kinder und Familie betreffen, bei denen wir beratend unterstützen.

Erst wenn die Kinderbetreuung geklärt ist, beginnen die Frauen, an Arbeit zu denken.
Erst wenn die Kinderbetreuung geklärt ist, beginnen die Frauen, an Arbeit zu denken. Quelle: iStock

Servicestelle SGB II: Wie nehmen Sie die geflüchteten Frauen wahr?

Irene Pawellek: Ich nehme die Frauen sehr unterschiedlich wahr. Es gibt Frauen, die sind sehr ehrgeizig und motiviert und haben bereits einen konkreten Plan, was ihre berufliche Zukunft angeht. Manche jedoch haben Erschöpfungszustände und man merkt ihnen die Strapazen der Flucht deutlich an. Diesen Frauen müssen wir Zeit geben, bevor wir anfangen, gemeinsam zu überlegen und konkrete Pläne zu schmieden. Dies gilt übrigens unabhängig von ihrem Herkunftsland. Auch Alter oder Bildungsstand sind eher sekundäre Faktoren.

Servicestelle SGB II: Wie ist Ihr Eindruck, was brauchen die Frauen am meisten?

Irene Pawellek: Die meisten müssen erst einmal ankommen und sich sicher fühlen. Wohnraum ist wichtig. Danach ist für die Frauen die Frage der Kinderbetreuung vorrangig. Wir haben beispielsweise Frauen bei uns in der Beratung, die während des Krieges oder auf der Flucht ein Kind verloren haben. Es ist verständlich, dass sie Probleme haben, ihre Kinder von anderen Menschen betreuen zu lassen. Andere Frauen wollen superschnell Deutsch lernen. Sie sind äußerst engagiert, aber sie scheitern an der Kinderbetreuung, weil es keine Plätze gibt. Für manche Kinder, die noch gar kein Deutsch sprechen, wäre es gut, wenn es mehr Kitas mit arabisch sprechenden Erziehern und Erzieherinnen geben würde. Die Kitas, die es hier im Stadtgebiet gibt, reichen nicht aus. Daran kann man sehen: Erst wenn dies alles geklärt ist, beginnen die Frauen, an Arbeit zu denken. Oder können überhaupt einen Sprachkurs besuchen. Vorrangig für die meisten ist deshalb zunächst der Erwerb von Sprachkenntnissen. Aber die geflüchteten Frauen nutzen auch zunehmend Angebote, die Ihnen eine Orientierung für ihre berufliche Entwicklung geben.

Servicestelle SGB II: Wie können Sie als BCA unterstützen, arbeiten Sie auch mit Vermittlungsfachkräften zusammen?

Irene Pawellek: Es geht häufig um die Unterstützung bei ganz banalen Problemen. Im Bündel können sie aber ein Riesenproblem darstellen. Ich nenne mal ein paar Stichworte: Wie funktioniert der Nahverkehr, Fragen bei der Wohnungsversorgung oder der Kinderbetreuung, Schul- und Bildungssystem, Spracherwerb, Vermittlung von Frauenberatungsstellen oder Feststellung von Kompetenzen – das sind alles sind Themen mit offenen Fragen, die die Frauen beschäftigen. Aber auch Fragen der Gesundheit und psychotherapeutischen Unterstützung der Frauen, beispielsweise bei Traumatisierungen und Gewalterfahrungen. Wenn hier mehrere Aspekte zusammenkommen, können sich komplexe Problemlagen bilden. Wir können hierbei helfen, indem wir beispielsweise Informationsveranstaltungen zu verschiedenen Themen anbieten.