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Hintergrundbericht

8. Februar 2022

Geflüchtete: Die besondere Situation sehen und Potentiale erkennen

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Viele Geflüchtete sind in Deutschland angekommen – und auch im Arbeitsmarkt. Quelle: Pexels, Keira Burton

Von 2015 bis Ende 2021 haben insgesamt fast zwei Millionen Menschen in Deutschland humanitären Schutz gesucht. In den Jahren 2015 und 2016 waren die jährlichen Erstanträge auf Asyl mit rund 442.000, beziehungsweise 722.000 am höchsten.

Der Zuzug hält in abgeschwächter Form an. Im Jahr 2021 waren es immer noch rund 148.000 Erstanträge. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern stehen in diesem Zusammenhang zunehmend vor der Aufgabe, die sehr heterogene Gruppe der arbeitsuchenden geflüchteten Menschen zu betreuen und zu begleiten. Dieses Themenspecial soll dazu beitragen, die besondere Situation von Geflüchteten zu verstehen sowie ihr Potential und ihre Bedürfnisse zu erkennen, um so die richtigen Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen.

Immer mehr Geflüchtete finden eine Beschäftigung

Die Mehrheit derjenigen, die im Jahr 2021 einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland gestellt haben, waren Männer (59 Prozent). Mädchen und Frauen sind um ein Fünftel weniger vertreten (41 Prozent). Rückblickend steigt die Beschäftigungsquote der Personen aus den acht zugangsstärksten Asylherkunftsländern an. Hierzu gehören Personen aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Im Oktober 2021 waren gut 35 Prozent der Personen mit einer TOP 8-Staatsangehörigkeit  in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.

Beispielsweise sind Eritreer mit einer Beschäftigungsquote von fast 61 Prozent (Oktober 2021, inkl. geringfügige Beschäftigung) besonders häufig in den Arbeitsmarkt integriert. Die Beschäftigungsquote der ausländischen Bevölkerung lag im selben Zeitraum bei knapp 54 Prozent, die der Deutschen bei rund 70 Prozent. Es zeigt sich auch: Je länger eine Person in Deutschland ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Erwerbstätigkeit ausführt. So haben 5 Jahre nach Zuzug fast 70 Prozent der Geflüchteten mindestens eine Erwerbstätigkeit aufgenommen. 

Viele Geflüchtete finden nach einiger Zeit in Deutschland eine gute Arbeit.
Viele Geflüchtete finden nach einiger Zeit in Deutschland eine gute Arbeit. Quelle: iStock

Erst in Sicherheit, dann in den Job

Was die Statistik auch zeigt: Viele Geflüchtete kommen aus Ländern, in denen Krieg, Unruhen oder politische Verfolgung herrschen. Dazu gehören insbesondere Syrien, Irak, Iran, Eritrea und Somalia. Im Jahr 2021 kamen 63 Prozent der Erstanträge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Unter allen Geflüchteten in Deutschland stellen Syrerinnen und Syrer mit 37 Prozent die größte Gruppe.

Bei der Arbeitsmarktintegration kommen neben den üblichen Aspekten wie Sprachkenntnissen, Qualifizierungen oder Bildungsabschlüssen deshalb entscheidende weitere hinzu: der Umgang mit traumatischen Erlebnissen und Gewalterfahrungen sowie mit kulturellen und religiösen Werten. Erfahrungen aus den Werkstattgesprächen der Servicestelle SGB II zeigen, dass neben den oben genannten Aspekten für viele Geflüchtete auch das Gefühl von Ankunft, Sicherheit und Schutz von großer Bedeutung ist.

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern bedeutet das, arbeitsuchende Geflüchtete umfassend und individuell zu unterstützen. So können Hürden auf dem Weg zur Arbeitsmarktintegration überwunden werden. Dabei müssen sie auch bedenken, dass den meisten Geflüchteten das deutsche Behördensystem völlig fremd ist. In ihrem Herkunftsland gibt es keine Jobcenter und womöglich keinerlei Sozialsystem. Mitarbeitende müssen also viel erklären, kommunizieren und dabei auf Verständlichkeit achten. Dabei sind oftmals auch Sprachbarrieren zu überwinden. Es ist wichtig auf Augenhöhe zu kommunizieren, damit die Geflüchteten Vertrauen aufbauen gegenüber der Institution, den Mitarbeitenden und den Maßnahmen.

Viele Geflüchtete verfügen über eine gute Bildung. Jobcenter sollten dennoch versuchen, verständlich und auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Viele Geflüchtete verfügen über eine gute Bildung. Jobcenter sollten dennoch versuchen, verständlich und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Quelle: iStock

Maßnahmen für Geflüchtete zeigen Wirkung

Die Unterstützung durch die Jobcenter ist auf einem guten Weg: Die Ergebnisse der „Begleitevaluation der arbeitsmarktpolitischen Integrationsmaßnahmen für Geflüchtete“ zeigen, dass die Maßnahmen des SGB II und SGB III auch für Geflüchtete wirksam sind und den Hilfebezug unterschiedlich deutlich verkürzen. Zudem sind die Maßnahmen wirtschaftlich: Die Kosten für den Maßnahmeeinsatz werden von Einnahmen aus nachfolgender versicherungspflichtiger Beschäftigung mehr als ausgeglichen. Die Begleitevaluation hat die Inanspruchnahme, Umsetzung und Wirkungen der zentralen Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik im SGB II und SGB III zur Förderung der Integration von Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit umfassend untersucht und Einflussfaktoren für ihre Wirksamkeit identifiziert Die Integration in den Arbeitsmarkt hängt zudem maßgeblich von Bildungsstand und Qualifikation ab. Hier zeigt sich bei den Geflüchteten ein sehr differenziertes Bild.

Der IAB-Kurzbericht 4/2020 befasst sich mit der Integration von Geflüchteten in Arbeitsmarkt und Bildungssystem. Der Bericht macht deutlich: 40 Prozent der Geflüchteten haben eine weiterführende Schule besucht, während 18 Prozent sogar eine Fachhochschule oder Universität besuchten. Hierbei haben vor allem jüngere Personen ein höheres Bildungsniveau als die älteren Generationen.

Rollenbilder stellen eine Herausforderung dar

Die vielen Herausforderungen zeigen, dass es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern nicht einfach ist, Geflüchtete in all ihrer Unterschiedlichkeit zielgerichtet in Beschäftigung zu bringen. Insbesondere geflüchtete Frauen sehen sich, auch wegen traditioneller Rollenbilder, noch mit einigen Hürden konfrontiert. Oft wird die Begleitung schon weit vor Qualifikations- und Anerkennungsfragen beginnen müssen. Schwierige familiäre Situationen, Kinderversorgung, Wohnungssuche oder der Umgang mit belastenden bis traumatischen Erfahrungen erfordern eine besonders intensive Unterstützung.

Ein wesentlicher Schritt zur Bewältigung dieser Probleme – und auch zur Arbeitsmarktintegration – ist der Erwerb von Sprachkenntnissen. 2020 nahmen fast 78 Prozent der Geflüchteten an einem Sprachkurs teil. Zum Vergleich: 2016 waren es lediglich 33 Prozent. Die IAB-BAMF-SOEP-Studie kam im Jahr 2016 noch zu dem Ergebnis, dass Frauen im Vergleich zu Männern sowie Personen mit Kindern seltener an Sprachkursen teilnehmen. Im Jahr 2020 waren aber 57 Prozent der Personen, die im selben Jahr einen Kurs begonnen haben, weiblich. Es scheint also eine langsame Angleichung bei den Geschlechtern zu geben. 

Früher gingen Frauen oder Personen mit Kindern seltener zu Sprachkursen – 2020 aber war die Mehrheit neuer Sprachschüler weiblich.
Früher gingen Frauen oder Personen mit Kindern seltener zu Sprachkursen – 2020 aber war die Mehrheit neuer Sprachschüler weiblich. Quelle: iStock

Integration ist ein mehrstufiger Prozess

In der Regel wird Arbeitsmarktintegration nicht in einem linearen, sondern in einem mehrstufigen Prozess umzusetzen sein. Beratung, Unterstützung und Bildung müssen unterschiedliche Geschwindigkeiten der einzelnen Integrationsschritte zulassen und der individuellen Lebenslage der Geflüchteten Rechnung tragen. Dabei haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter auch die schwierige Aufgabe, die mitgebrachten Erfahrungen und Qualifikationen in Einklang mit den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes zu bringen, ohne dabei zu demotivieren. 

Hier liegt jedoch auch ein enormes Potenzial: Der mit Abstand größte Teil der arbeitsuchenden Geflüchteten fällt in die Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen – junge Menschen also, die ihr Erwerbsleben noch vor sich haben und offen für Bildung sind. An Motivation jedenfalls mangelt es nicht: Laut IAB wollen nahezu alle befragten Frauen und Männer unabhängig von Transferleistungen werden und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien selbst bestreiten. 

Passend hierzu setzt sich die Charta der Vielfalt für mehr Diversität auf dem Arbeitsmarkt ein. Das Projekt, gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, möchte den gesellschaftlichen Austausch fördern, mit Vorurteilen aufräumen und die Vorteile von Vielfalt in der Arbeitswelt aufzeigen. Bei dem Angebot steht Dialog im Vordergrund. Vorurteile und Ressentiments gegenüber Schutzsuchenden können bei Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden dadurch abgebaut werden. Eine Kompetenzstärkung am Arbeitsplatz hilft, dass sich geflüchtete Menschen mit ihrem großen Potential noch besser in den Arbeitsmarkt einbringen.