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Expertengespräch: Thiemo Lange

18. Juni 2019

Das neue Online-Angebot „jobcenter.digital“ möchte die Beantragung von Leistungen nach dem SGB II bei den gemeinsamen Einrichtungen vereinfachen. Thiemo Lange, Leiter des Projekts bei der Bundesagentur für Arbeit, berichtet, welche Auswirkungen der neue Service auf die Arbeit in den Jobcentern hat und welche weiteren Schritte auf dem Weg zum digitalen Jobcenter anstehen.

Foto von drei Personen, welche in die Kamera lächeln. Auf der linken Seite stehen zwei Männer mit kurzen, dunklen Haaren, auf der rechten Seite eine blonde Frau.
Von links nach rechts: Martin Godau (Teilprojektleiter Einführung), Thiemo Lange (Projektleiter), Alexandra Reinhardt (Teilprojektleiterin Fachlichkeit)

Servicestelle SGB II: Herr Lange, seit Juni 2019 ist das neue Online-Portal „jobcenter.digital“ für die Leistungsberechtigten zugänglich. Was bietet der neue Service?
Thiemo Lange: Nach der Registrierung können die Kundinnen und Kunden zwei wichtige Vorgänge, den Weiterbewilligungsantrag und die Veränderungsmitteilung, online erledigen. Außerdem haben wir 15 der insgesamt 17 Anlagen zu den Anträgen in eine vereinfachte Online-Version übersetzt. Der Erstantrag ist nicht Gegenstand des Projekts, da wir hier nach wie vor die persönliche Beratung von Neukundinnen und -kunden als unerlässlich erachten. Auf der Startseite bietet jobcenter.digital ein breites Informationsangebot für spezifische Anliegen rund um das SGB II – sei es Wohnen, Familie oder Gesundheit. Da dies ein Service für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger sein soll, ist für diesen Bereich keine Anmeldung erforderlich.

Servicestelle SGB II: Wer war am Entstehungsprozess beteiligt und wie lief das ab?
Thiemo Lange: Um einer digitalen Kluft im SGB II vorzubeugen, haben wir vor drei Jahren in Absprache mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Vorstudie durchgeführt, die klären sollte, ob und wie man ein Online-Angebot für die gemeinsamen Einrichtungen umsetzen kann. Dabei haben wir von Beginn an auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gesetzt: Über den gesamten Prozess hinweg waren mehr als 500 Personen aus den verschiedenen Zielgruppen und Regionen in die Entwicklung von „jobcenter.digital“ involviert. Das BMAS, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände waren als Experten ebenfalls beteiligt. Wir haben auch mit einigen kommunalen Jobcentern gesprochen, um den Wissensaustausch zu befördern. Obwohl diese sich nicht am finalen Produkt beteiligen können, wurde der Dialog sehr gut angenommen. Wir wollten damit zeigen, dass wir keine Geheimniskrämerei betreiben.

Servicestelle SGB II: Welchen Einfluss hatten die gemeinsamen Einrichtungen auf die Entwicklung der Plattform?
Thiemo Lange: Auch sie haben wir natürlich in den Entwicklungsprozess intensiv einbezogen, schließlich müssen sie auf die Fragen der Kundinnen und Kunden reagieren und ihnen das Angebot vorstellen können. Wir haben Interviews mit Geschäftsleitungen geführt, Einzelthemen in Workshops mit der Praxis diskutiert und sogenannte Guided Tours für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erstellt, mit denen sie das Angebot aus Kundensicht testen und die wichtigsten Funktionen kennenlernen konnten. Für die gemeinsamen Einrichtungen war es besonders wichtig, dass sie auf der Plattform als Jobcenter für die Kundinnen und Kunden klar erkennbar sind und nicht unter die Bundesagentur subsumiert werden.

Servicestelle SGB II: Was war im Entwicklungsprozess besonders schwierig?
Thiemo Lange: Eine der größten Herausforderungen war es, eine Struktur für das Online-Angebot zu finden, die für die Kundinnen und Kunden eine Erleichterung darstellt, ohne dabei vollkommen mit alten Gewohnheiten und Abläufen aus der Offline-Welt zu brechen. Papieranträge wird es auch in den nächsten Jahren noch geben und die Jobcenter müssen die Daten gleich gut handhaben können – unabhängig davon, ob sie einen Papier- oder Onlineantrag vorliegen haben. Ich denke, wir haben mit unserem vereinfachten und dynamischen Aufbau der Online-Angebote eine gute Lösung gefunden.

Servicestelle SGB II: Wie wird sich der Service auf die Arbeit im Jobcenter auswirken?
Thiemo Lange: Da das Angebot in erster Linie die Abläufe für die Kundinnen und Kunden vereinfachen soll, wird sich an den Arbeitsschritten im Jobcenter zunächst nicht sehr viel ändern: Online-Anträge werden ebenso wie Papieranträge in die e-Akte der Kundinnen und Kunden eingespeist und automatisch den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugeleitet. Für die nächste Entwicklungsstufe diskutieren wir, ob wir die online eingereichten Daten künftig automatisch in die Fachverfahren übermitteln können. Das würde dann tatsächlich Arbeitszeit einsparen. Unsere Hoffnung ist auch, dass die Qualität der Daten durch die Unterstützung bei der Online-Erfassung steigt. Zunächst bedeutet der neue Service jedoch sicherlich einen erhöhten Kommunikationsbedarf, insbesondere in den Eingangszonen der Jobcenter.

Servicestelle SGB II: Wenn wir schon einmal bei geplanten Veränderungen sind: Welche Neuerungen wird es noch geben?
Thiemo Lange: Aktuell dürfen Jobcenter E-Mails von Kundinnen und Kunden aus datenschutzrechtlichen Gründen in den meisten Fällen nur per Post beantworten. Deshalb arbeiten wir gerade an einem Postfachservice, der Ende des Jahres online gehen soll – voraussichtlich erstmal in einer Erprobung. Wir möchten den Kundinnen und Kunden damit eine interne Nachrichtenfunktion anbieten, über die sie sich mit ihrem Jobcenter austauschen können. Diese neue Funktion wird die Jobcenter sicherlich vor strukturelle Herausforderungen stellen. Deshalb werden wir den gemeinsamen Einrichtungen entsprechende Konfigurationsmöglichkeiten anbieten, damit der Grundsatz der organisatorischen Hoheit vor Ort gewahrt bleibt – ähnlich dem dezentralen bei der e-Akte.

Servicestelle SGB II: Was denken Sie: Was sind die nächsten Meilensteine auf dem Weg zum digitalen Jobcenter?
Thiemo Lange: Mit der Vorstudie für „jobcenter.digital“ haben wir einen Vorschlag für verschiedene Umsetzungsstufen einer umfangreichen digitalen Transformation vorgelegt, die nicht nur auf das neue Onlineangebot beschränkt ist. Nach dem Abschluss dieser ersten Stufe steht jetzt die nächste auf dem Plan: Ein digitales „Vollangebot“ – zumindest, soweit es technisch und wirtschaftlich sinnvoll ist. Deswegen prüfen wir gerade, wie wir weitere Angebote – insbesondere auch im Vermittlungsbereich – digitalisieren können. In der Projektvorbereitung für Stufe 1 wurden wir jedoch schon vom Onlinezugangsgesetz überholt: Wir sind nun rechtlich verpflichtet, für die gemeinsamen Einrichtungen alle Dienstleistungen bis 2022 online zur Verfügung zu stellen.