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Wie das Jobcenter Düren kurzfristig einen Online-Neuantrag eingeführt hat

12. April 2022

Plötzlich Lockdown und zahlreiche neue Leistungsberechtigte: Im März 2020 stand das kommunale Jobcenter Kreis Düren vor großen Herausforderungen. Innerhalb weniger Wochen entwickelte Digitalisierungsmanager Bünyamin Atlig einen digitalen Erstantrag und später weitere Online-Services, die inzwischen nicht mehr wegzudenken sind.

Düren-Header

Schnelle Hilfe für Leistungsberechtigte: Mit diesem Ansatz hat die job-com, das kommunale Jobcenter Kreis Düren (Nordrhein-Westfalen), im März 2020 in weniger als zwei Wochen einen eigenen digitalen Neuantrag auf die Beine gestellt – mehr als drei Monate vor der bundesweiten Einführung eines solchen Antrages für alle 104 kommunalen Jobcenter. Ermöglicht hat die Umsetzung ein Formularserver, der im letzten Quartal 2019 eingerichtet wurde, mit dem Ziel, die kommunalen Leistungen schrittweise zu digitalisieren. „Wir waren frühzeitig mit dem Thema Digitalisierung unterwegs und haben die Entwicklungen auf Bundesebene zum OZG (Anm. der Redaktion: Onlinezugangsgesetz) beobachtet“, sagt Bünyamin Atlig, der als Digitalisierungsmanager maßgeblich an der Umsetzung des digitalen Erstantrags beteiligt gewesen ist. Corona habe die Digitalisierung aber deutlich beschleunigt. Inzwischen sind der Online-Antrag und weitere digitale Angebote aus dem Jobcenter-Alltag nicht mehr wegzudenken.

Warum? Ein Blick zurück

Das kommunale Jobcenter job-com im Kreis Düren hat schon früh den Weg der Digitalisierung eingeschlagen: Bereits seit 2011 erleichtert die digitale Aktenführung den Mitarbeitenden die Arbeit. „Von der Mitarbeiterschaft kamen sehr schnell positive Rückmeldungen, dass das Arbeiten mit der digitalen Akte nur Vorteile bringt“, erinnert sich Atlig. In den Folgejahren kamen der digitale Postaus- und -eingang hinzu.

Dabei sollte es nicht bleiben: Kurz vor der Pandemie, im letzten Quartal 2019, schaffte der Kreis Düren ein digitales Formularmanagement-System an. Es handelt sich dabei um eine webbasierte Formular-Software, mit der Antragsformulare erstellt, bearbeitet und verwaltet werden können. Im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes sollten so zumindest die rein kommunalen Leistungen künftig auch online beantragt werden. Bis zum Pandemiebeginn wurde die Software jedoch im Jobcenter noch nicht genutzt. „Corona war ein gewaltiger Schub für unsere Digitalisierungsstrategie“ – nicht zuletzt auch, weil das Jobcenter durch den Lockdown nur noch eingeschränkt erreichbar gewesen sei, so Atlig. Für die vielen neuen Leistungsberechtigten musste die Behörde eine schnelle Lösung finden. Dies war die Stunde des Formularsystems und der Beginn von jobcom.digital: „Eines Tages kam mein Amtsleiter auf mich zu und sagte ‚Wir haben das Ding, warum nutzen wir es jetzt nicht einfach, um was für die Berechtigten zu tun“, blickt der Digitalisierungsexperte zurück.

Der digitale Neuantrag wurde ohne vorherige Schulung der Mitarbeitenden in der Sachbearbeitung eingeführt: Dass die Umsetzung und direkte Nutzung im Eiltempo reibungslos funktionierten, sieht Atlig auch in den digitalen Vorkenntnissen der Mitarbeitenden des Jobcenters Düren begründet.

Erstantrag

Was? Die Umsetzung

Durch die Anschaffung des Formularsystems wenige Monate vor der Pandemie waren datenschutzrechtliche und verwaltungsinterne Hürden bereits aus dem Weg geräumt. Der eigene Online-Neuantrag wurde in weniger als zwei Wochen in enger Abstimmung mit der Rechtsbehelfsstelle des Jobcenters und der IT-Abteilung des Hauses realisiert, schildert Atlig: „Gerade, weil wir auch noch kurzfristig die Änderungen zum Sozialschutzpaket umsetzen mussten, war der Austausch sehr intensiv.“

Bei der Antragsentwicklung kamen Atlig auch Erkenntnisse aus Hessen zugute. Dort war er in mehreren Arbeitsgruppen involviert: Im Rahmen der OZG-Umsetzung war das Land maßgeblich daran beteiligt, den Neuantrag für alle kommunalen Jobcenter zu digitalisieren. In dem Zuge sei auch eine enge Zusammenarbeit mit dem kommunalen Jobcenter Pro Arbeit – Kreis Offenbach – (AöR) entstanden. „Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir das gleiche System nutzen und uns austauschen könnten.“ Die Zusammenarbeit hat schnell Früchte getragen: Wenige Monate nach dem digitalen Neuantrag kamen der Online-Weiterbewilligungsantrag und die Veränderungsmitteilung hinzu, die in beiden kommunalen Jobcentern 1:1 genutzt werden. „Das hat sich sogar schon ein bisschen rumgesprochen, mittlerweile fragen auch andere Jobcenter nach“, freut sich Atlig.

Zum Start im März 2020 bewarb das Jobcenter den Online-Erstantrag unter anderem auf Social-Media-Kanälen und mit Plakaten. Auf letzteren war ein QR-Code abgebildet, der Berechtigte direkt auf das Angebot geleitet hat. Unterstützung, das neue Angebot bekannt zu machen, gab es auch durch die kreisangehörigen Kommunen und die Beratungsstellen, die gerade zu Beginn der Pandemie ein wichtiger Anlaufpunkt vor allem für Menschen in Kurzarbeit und Selbstständige waren.

Browserversion

Wie? Die Details

Der Neuantrag wird seit seiner Einführung rege genutzt. Anfang 2022 gehen rund 80 Prozent der Erstanträge – inzwischen 230 bis 280 pro Monat – auf digitalem Wege ein. Gleichzeitig seien die rechtlichen Beschwerden in den Jahren 2020 und 2021 auf den bisher niedrigsten Stand gesunken, erläutert Atlig.

Kontinuierliche Verbesserungen und Anpassungen prägten die ersten Wochen. So fügte das Jobcenter nachträglich etwa Infoboxen und Bilderklärungen ein, um das Ausfüllen zu erleichtern. „Die Anträge sind dadurch qualitativ hochwertiger geworden und können effizienter bearbeitet werden“,schildert Atlig. Je nach Wohnort leitet das System den Antrag automatisch an eine der beiden zuständigen Servicestellen weiter. Beim Absenden generiert es zudem eine PDF-Datei für die Nutzenden. Gleichzeitig wird neben dem Antrag ein automatisiertes Protokoll samt Vorgangsnummer für den Antragsservice erstellt.

Das Jobcenter Düren bietet aber längst mehr als nur den digitalen Erstantrag: Inzwischen können Leistungsberechtigte online auch Weiterbewilligungsanträge stellen, Krankmeldungen und Ortsabwesenheiten einreichen und Statusänderungen übermitteln. Eine Schnittstelle sucht dabei anhand der eingegebenen Daten und Sachverhalte den dafür zuständigen Mitarbeitenden im Jobcenter heraus. So landen die Unterlagen direkt auf dem richtigen virtuellen Tisch. Die Zeit, die zwischen Übermittlung und Bearbeitung vergeht, hat sich dadurch erheblich verkürzt. Auch im Vertretungsfall hat sich die Arbeit für die Mitarbeitenden vereinfacht: Fügt ein Leistungsberechtigter online neue Angaben oder Dokumente hinzu, wird die jeweilige Vertretung ebenfalls informiert. So ist jederzeit gewährleistet, dass die Betreuung auch im Vertretungsfall nahtlos funktioniert und alle auf dem aktuellen Stand sind.

Die niedrigschwelligen Online-Services funktionieren über die bekannten Browser-Programme und lassen sich auch mit dem Smartphone nutzen – mit einem großen Vorteil: Nachweise können, wenn sie im Antragsprozess gefordert werden, auch direkt während des Vorgangs fotografiert und hochgeladen werden. Der Schritt, vorab alle Dokumente fotografieren zu müssen, entfällt somit.

Es würden auch diejenigen an die Hand genommen, die den Online-Services skeptisch gegenüberstehen: „Wenn die Mitarbeitenden merken, dass jemand Berührungsängste mit den digitalen Angeboten hat, dann wird gemeinsam draufgeschaut“, so Atlig. Durch die gemeinsame Nutzung und Erläuterungen ließen sich Hemmschwellen am besten abbauen.

Und nun? Wie es weitergeht

Jüngster Zuwachs im Online-Repertoire des Jobcenters Düren ist der Service „Kontaktcenter / Dokumentenupload“, der seit Anfang 2022 verfügbar ist. Leistungsberechtigte können sicher Dokumente und Nachweise hochladen oder sich mit Terminvorschlägen und Anrufwünschen an die Mitarbeitenden wenden, jedoch keine Termine direkt online buchen. Atlig erklärt letzteres mit hohen Verwaltungshürden – unter anderem hätte hier eine gesonderte Beteiligung des Personalrates erfolgen müssen. Diese erfolgt für die Gesamtdigitalisierungsstrategie des Kreises Düren, in der auch die gesamte Online-Terminvereinbarung ein Baustein ist.

Anders sieht es mit der Sozialplattform aus, für die das Land Nordrhein-Westfalen im Bereich Arbeit und Ruhestand die Federführung innehat. Das Jobcenter Düren plant, sich an die Plattform anzuschließen, sobald weitere Leistungen der Plattform online verfügbar sind. Hilfesuchende und Leistungsberechtigte erhalten dann noch schneller und maßgeschneiderte Antworten und Angebote. Auch Mitarbeitende werden durch die Vernetzung der Angebote von der Plattform profitieren.

Dass Jobcenter und Beratungsstellen bald ausschließlich auf Online-Lösungen umschwenken, glaubt der Digitalisierungsmanager nicht: „Persönliche Beratungsgespräche, vor allem die Einzelfälle mit den vielfältigen Anforderungen, die auch im SGB II vorkommen, werden sich nicht vollständig durch digitale Angebote ersetzen lassen.“

Kurzinterview mit Bünyamin Atlig, Digitalisierungsmanager

Atlig

Gibt es noch immer Gruppen, die Sie trotz der niedrigschwelligen digitalen Angebote nicht erreichen? Wie geht das Jobcenter vor, um auch deren Belange im Blick zu behalten und mit ihnen in Kontakt zu bleiben?  

Bünyamin Atlig: Gemeinhin wird oft gesagt, das sei eine Altersfrage. Ich sehe aber auch junge Leute, die mit digitalen Angeboten nicht zurechtkommen. Bei uns wird niemand verhaftet, der da nicht mitgehen will: Die Jobcenter-Mitarbeitenden sind natürlich auch weiterhin auf den anderen Kanälen – telefonisch mit eigener Durchwahl, per Post oder persönlich – erreichbar. Im Rahmen der Integrationsarbeit haben wir auch das „Walk and talk“-Format und pilotweise Videoberatungen mit aufgenommen, um den Leistungsberechtigten die Möglichkeit zu geben, sich jenseits der Büros in autarker Atmosphäre mit den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern zu unterhalten. Trotzdem wird in den nächsten Jahren insbesondere die Stärkung der digitalen Kompetenzen ein Dauerthema sein.

Wie haben sich die Arbeitsabläufe für die Mitarbeitenden seit der Einführung verändert?

Neben dem digitalen Neuantrag haben wir inzwischen auch eine Reihe weiterer Angebote in jobcom.digital umgesetzt. Nehmen wir beispielsweise die digitale Krankmeldung: Sobald Leistungsberechtigte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hochladen, führt das zu einem vollautomatischen Workflow: Das System informiert die Integrationsfachkraft über den Eingang. Stimmen die Angaben im Online-Service mit dem eingereichten Nachweis überein, bestätigt die zuständige Kollegin oder der zuständige Kollege die Krankmeldung – die Daten aus dem Online-Dienst werden danach ohne weiteren Erfassungsaufwand in alle notwendigen Eingabemasken des Fachverfahrens übernommen und notwendige Meldungen zur Statistik generiert. Mit zwei weiteren Mausklicks wird die Durchschrift und der Nachweis dann auch abschließend medienbruchfrei in die digitale Akte übertragen.

Wie sind die Reaktionen darauf?

Einige Arbeitsläufe könnten wir noch weiter optimieren, doch wir wollten niemals Ängste schüren, dass jetzt Stellen abgebaut werden. Das ist definitiv nicht der Fall. Vielmehr wollen wir die freigewordenen Kapazitäten dafür nutzen, unser Beratungsangebot sicherzustellen und auszubauen.