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Jobcenter Berlin Lichtenberg: Selbst wirksam werden

11. November 2022

Im Job geht Janett Rister auf Distanz. Zumindest im emotionalen Sinne. Als Coach im Jobcenter Berlin Lichtenberg unterstützt sie Leistungsbeziehende, die mit multiplen Herausforderungen konfrontiert sind – mit teils weitreichenden Folgen für ihr gesamtes Leben. Häufig hilft die professionell begleitete Auseinandersetzung mit sich selbst, Probleme zu bewältigen. Rister gibt Einblicke in ihre Arbeit und ihre persönliche Einstellung zu Resilienz.

Janett Rister.
Janett Rister ist Coachin im Jobcenter Berlin Lichtenberg.

Wie wichtig professionelle Fürsorge, aber auch emotionale Distanz für die eigene Arbeit sind, weiß Janett Rister bereits aus ihrer Zeit als Arbeitsvermittlerin: „Um objektiv beraten und die Selbstwirksamkeit der Leistungsbeziehenden fundiert stärken zu können, darf ich selbst nicht zu tief in den Emotionen meines Gegenübers stecken“, erläutert Rister. Die studierte Sozialpädagogin unterstützt als Coachin im Aktiv-Team des Jobcenters Berlin Lichtenberg vor allem ehemalige Langzeitarbeitslose, die gerade ein Arbeitsverhältnis aufgenommen haben oder seit einiger Zeit wieder arbeiten. Das Coaching findet Jobcenter-intern in enger Zusammenarbeit mit den anderen Beratungsbereichen statt.

Sich ihrer Selbstwirksamkeit bewusst zu werden, müssen viele der Leistungsbeziehenden erst wieder erlernen. Die Lebensgeschichten derjenigen, die Rister unterstützt, sind neben langjähriger Erwerbslosigkeit oftmals geprägt von Sucht, Überschuldung, familiären Problemen und vielfältigen anderen Schwierigkeiten. Resignation und Überforderung bis hin zum vollständigen Rückzug seien häufige Verhaltensweisen, berichtet Rister. „Die meisten haben kein Selbstbewusstsein mehr: Sie haben vergessen, was sie alles können.“

Über aktives Zuhören gewinnt man Menschen

Genau hier setzt Rister an. „Ich frage meine Coachees beispielsweise, was ihnen zuletzt auf der Arbeit besonders gut gelungen ist. Gab es vielleicht Lob vom Chef? War eine Aufgabe schneller erledigt als geplant? ‚Cool reagiert‘ oder ‚super gemacht‘, lobe ich dann auch.“ Diese positive Rückkopplung gebe wichtige Impulse fürs Selbstbewusstsein – und für die Erkenntnis, sehr wohl Schritt für Schritt etwas ändern zu können. Wichtigster Antrieb sei hierfür aber die intrinsische Motivation, die auf unterschiedlichste Art und Weise geweckt werden könne, etwa durch Erlebnisse oder Bemerkungen von Außenstehenden. Erst der eigene Änderungswille der Leistungsbeziehenden ebne deren Weg für Veränderung.

Wie und in welchem Tempo auch die „größeren Themen“ angegangen werden, hängt laut Rister jedoch ganz von den Leistungsbeziehenden ab. Ohne gegenseitiges Vertrauen funktioniere das ohnehin nicht. Wichtig sei hierfür unter anderem das aktive Zuhören, denn „nur darüber gewinnt man die Menschen“, so Rister. Aktives Zuhören, das kennen die Leistungsbeziehenden auch aus anderen Beratungsbereichen, wie etwa der Arbeitsvermittlung. Das Coaching ergänzt die intensive Betreuung und bietet den Rahmen, das erste Etappenziel – die erfolgreiche Arbeitsaufnahme – zu stärken. „Zu Beginn biete ich meinen Coachees daher an, kleinere Dinge wie den Anruf bei der Leistungsabteilung des Jobcenters in ihrem Auftrag zunächst zu übernehmen. Die Menschen sollen erst mal im Job ankommen und sich dort festigen“, erläutert Rister ihr Vorgehen. Eine wichtige Rolle spielt in dem Zusammenhang auch die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, die für viele Leistungsbeziehende zunächst ungewohnt ist.

Techniken und Netzwerke: Coach-Arbeit ist komplex

Deutlich wird dies an der „Hausaufgabe“, die Rister im Laufe des Coachings aufgibt: Die Coachees sollen zu Hause notieren, was sie beschäftigt, interessiert, wie sie bestimmte Situationen wahrgenommen haben. Kurzum: reflektieren. Laut Rister reichen dafür zehn Minuten am Tag, doch häufig komme in den Folgegesprächen „Dafür hatte ich keine Zeit“, besonders von Alleinerziehenden. „Wir erstellen dann gemeinsam eine Tagesstruktur. Die Menschen erkennen dadurch, was sie alles über den Tag leisten, und realisieren, wo sich ein Zeitfenster bietet. Ich versuche meinen Coachees zu verdeutlichen, dass sie das Coaching für sich selbst machen. Es ist ihre ‚Quality time‘, keine Verpflichtung“, so Rister. Neben der „Hausaufgabe“ bietet das systemische Coaching viele weitere Techniken, auf die Rister je nach Ausgangslage zurückgreift: von der Frage „Was würden Sie sich von einer Fee wünschen?“, Situationsspiegelungen durch den Coach über Perspektivwechsel-Übungen bis hin zu zirkulären Fragen, bei denen für die gleiche Frage die Sichtweise verschiedener Personen eingenommen wird, um nur einige zu nennen.

Mit Techniken und Tagesstrukturen allein sei es im Coaching aber nicht getan, betont Rister: „Netzwerkarbeit macht einen wesentlichen Teil der Unterstützung aus.“ Beratungsstellen, medizinische Einrichtungen, Angebote im Kiez, das soziale Umfeld – all dies seien wichtige Ressourcen, auf die nicht nur sie, sondern auch ihre Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bereichen zurückgriffen. Wie wichtig die eng verzahnte Betreuung ist, verdeutlicht Rister an einem ihrer vergangenen Fälle: „Ich habe meinen Coachee angerufen, um zu hören, ob alles in Ordnung ist. Er war nicht zur Arbeit gekommen. Mit ‚Ja, Frau Rister, ich mache gerade einen Entzug auf eigene Faust, das kenn‘ ich schon‘ als Begründung hätte ich nie gerechnet. Ich war erstmal baff und besorgt um seine Gesundheit – und habe ihm das in dem Moment auch so gespiegelt.“

Zur Coach-Arbeit gehört auch: Abstand gewinnen

Der Leistungsbeziehende gab Rister sein Okay, dass sie bei einer Suchtberatungsstelle anrufen dürfe. Es folgten viele Telefonate – mit Beratungsstellen, Kliniken und dem Coachee. „Während seines Entzugs habe ich ihn täglich angerufen, um zu hören, wie es ihm geht“, schildert Rister. Um die Geschichte abzukürzen: Er ist seit mehr als zwei Jahren trocken, hat wieder ein gutes Verhältnis zu seiner Familie, und sein Arbeitgeber möchte ihn nun unbefristet einstellen.“ Und dieses Beispiel sei nur eines von vielen, das zeige, dass Coaching nicht nur die Abbruch- und Kündigungsquote senke, sondern auch die Leistungsbeziehenden in ihrem beruflichen und privaten Umfeld stärke.

Die Päckchen, die viele ihrer Coachees zu tragen haben, versuche sie aber nicht mit in ihre Freizeit zu nehmen, sagt Rister. Für die bestmögliche Qualität ihrer Arbeit sei es essenziell, bewusst abzuschalten: „Wenn ich mich nach der Arbeit mit Freunden treffe, arbeite ich am nächsten Tag deutlich motivierter. Im Homeoffice schließe ich nach Feierabend meine Dienstunterlagen und das Diensthandy weg, und seit Kurzem versuche ich mich auch in Meditation“, beschreibt Rister ihre Abgrenzungsmethoden.

Coach-Arbeit profitiert von Lebenserfahrung

„Anfangs musste ich mich ermahnen, nicht zu viel für die Coachees zu übernehmen. Inzwischen weiß ich, dass wir ihnen mit den verschiedenen Techniken und Glaubenssätzen – ‚Ich kann etwas ändern‘ zum Beispiel – genügend Werkzeuge an die Hand geben, um schwierige Situationen wieder allein meistern zu können. Und falls jemand wirklich nicht weiterkommt, frage ich erst mal: ‚Wie haben Sie sich in einer ähnlichen Situation weitergeholfen?‘ Im Grunde lenke ich ihren Blick auf ihre eigene Resilienz.“

Auch sie selbst besinne sich bei Herausforderungen immer auf ihre eigenen Erfahrungen: „Wenn ich selbst nicht die Überzeugung in mir tragen würde, dass Krisen Menschen stärken – dass sie handhabbar sind –, dann könnte ich auch niemand anderen dahingehend unterstützen. In dem Sinne wird meine Lebenserfahrung auch Teil meiner Arbeit. Resilienz und Lernfähigkeit gehören für mich zusammen.“ Und wie stärkt Rister ihre eigene Resilienz? „Das mag jetzt banal klingen, aber: Mir passieren ja immer mal wieder Situationen, die mich herausfordern und an denen ich am Ende wachse.“

Selbstreflexion bei Leistungsbeziehenden fördern: Drei Herangehensweisen

„Leistungsbeziehende wollen gesehen werden“, sagt Rister. Dazu gehöre, in den Beratungsgesprächen den Blick nicht auf die Schwächen, sondern auf die Potenziale zu lenken und den Betreuten vor Augen zu führen. Ganz nach dem Motto: „Stärken stärken“ – und auf dieser Basis nach Lösungen suchen.
Was bewegt die Leistungsberechtigten, wo liegen ihre Interessen und Wünsche? Zu Hause angefertigte Notizen können den Leistungsberechtigten helfen, sich bewusst mit sich selbst auseinanderzusetzen und mehr über die eigenen Bedürfnisse und „Themen“ zu erfahren, die womöglich eine Erwerbstätigkeit ausbremsen.
Man sollte nicht nur die Lebensläufe der Betreuten sehen, rät Rister aus eigener Erfahrung. Viele Menschen hätten verlernt, an sich selbst zu glauben – positive Rückkopplung und Lob auch bei kleinen Erfolgserlebnissen seien hier essenziell. Nach und nach realisierten die Betreuten wieder, wozu sie in der Lage sind.

Dieser Artikel stammt aus dem chancen-Magazin 2022 zum Thema Selbstreflexion. Auf dieser Seite finden Sie alle Artikel aus dem Magazin.


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