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Im Gespräch mit Dr. Thomas Kruppe

1. Februar 2019

„Mehrjährige Umschulungen haben die stärksten Effekte“

Schwarz-weiß Portrait von Thomas Kruppe.
Arbeitsmarktforscher Dr. Thomas Kruppe leitet die Arbeitsgruppe Weiterbildung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Quelle: Wolfram Murr/W. M. Photofabrik GmbH

Servicestelle SGB II: Herr Dr. Kruppe, ganz grundsätzlich gefragt: Profitieren Langzeitarbeitslose von Weiterbildungen?

Thomas Kruppe: Für längerfristige Qualifizierungsmaßnahmen gilt das eigentlich immer. Ganz besonders für Umschulungen.

Servicestelle SGB II: Sie haben am IAB eine Studie zu den Effekten von Weiterqualifizierungen durchgeführt. Was waren die Ergebnisse?

Thomas Kruppe: Die positiven Effekte der Förderung waren sehr deutlich: Nehmen männliche Langzeitarbeitslose an einer Qualifizierung teil, erhöht sich ihre Chance, in ein sozialversicherungspflichtiges Verhältnis zu kommen, um 12 Prozent. Bei den Frauen steigt die Wahrscheinlichkeit sogar um 19 Prozent. Denn für sie ist es besonders schwierig, ohne Qualifizierung Arbeit zu finden. Hinzu kommt, dass sich Frauen und Männer in ihren Ausbildungsberufen deutlich unterscheiden, was bei den genannten Effekten sicherlich auch eine Rolle spielt. Klar ist, dass sich die Chancen am Arbeitsmarkt für beide Geschlechter verbessern.

Servicestelle SGB II: Welche Qualifizierungen bewirkten am meisten?

Thomas Kruppe: Die Umschulungen. Wir haben in unserer Studie längerfristige Bildungsmaßnahmen untersucht, die von drei Monaten bis zu zwei, drei Jahre dauern. Dabei haben wir festgestellt, dass die mehrjährigen Umschulungen die stärksten Effekte haben, auch wenn sie am teuersten sind. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, anschließend eine Beschäftigung zu finden, steigt am meisten für jene, die einen Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf erworben haben.

Servicestelle SGB II: Und für wen ist eine Umschulung sinnvoll?

Thomas Kruppe: Sie hilft insbesondere Menschen, die sehr weit vom Arbeitsmarkt weg sind und die noch nie einen Berufsabschluss erworben haben. Es gab früher diese Grundidee, dass man vor allem Menschen fördern sollte, die nah am Arbeitsmarkt dran sind. Aber das ist eigentlich kontraproduktiv, weil diese ohnehin gute Chancen haben, wieder in Arbeit zu kommen. Fördert man hingegen Menschen, die noch gar keinen Berufsabschluss haben, kann man viel mehr bewirken. Wenn sie nun ein berufliches Zertifikat erwerben, erreichen sie auf dem Arbeitsmarkt nicht nur bessere Beschäftigungsmöglichkeiten, sondern sie haben natürlich auch die Chance, einen höheren Lohn zu bekommen. In Bildung und Qualifikation zu investieren, zahlt sich für diese Menschen langfristig aus.

Servicestelle SGB II: Wie kommt das?

Thomas Kruppe: Unser Arbeitsmarkt ist stark vom dualen Ausbildungssystem geprägt, weshalb hierzulande Zertifizierungen eine wichtige Rolle spielen. Die Arbeitgeber wollen immer wissen, welche Zeugnisse jemand mitbringt als Grundaussage darüber, was jemand kann. In Zukunft werden sicher auch einzelne Kompetenzen stärker gefragt sein, gerade im Zuge der Digitalisierung. Das bedeutet aber nicht, dass die Ausbildungsberufe an Attraktivität einbüßen werden.

Servicestelle SGB II: Worauf sollten Jobcenter bei der Vermittlung in Weiterbildung unbedingt achten?

Thomas Kruppe: Die größte Herausforderung für Vermittlungskräfte besteht darin, die richtige Auswahl zu treffen. Sie müssen herausfinden, welche ihrer Kundinnen und Kunden eine Umschulung tatsächlich schaffen, und sie müssen die Menschen dazu motivieren, daran teilzunehmen. Manchmal fehlen noch gewisse Grundkompetenzen, um eine Umschulung erfolgreich abzuschließen. Aber an diesen Hürden kann man arbeiten. Seit 2016 haben die Jobcenter die Möglichkeit, ihren Kundinnen und Kunden vor einer längerfristigen Qualifizierung Grundkompetenzen wie das Schreiben und Lesen zu vermitteln. Der erste Schritt könnte also sein, die Motivation auf einzelne Probleme zu richten. Wenn die gelöst sind, traut man sich leichter an eine Umschulung heran.

Servicestelle SGB II: Wie findet man heraus, welche Qualifizierung jeweils die beste ist?

Thomas Kruppe: Bei der Vermittlung einer Qualifizierung sollte man nicht nur auf den Arbeitsmarkt schauen und darauf, wo es momentan einen hohen Bedarf an Arbeitskräften gibt. Genauso wichtig ist es, die individuellen Kompetenzen, Neigungen und Möglichkeiten zu berücksichtigen. Auch in Berufsfeldern mit schlechter Arbeitsmarktlage kann jemand gut unterkommen, wenn es sein Traum ist, dort zu arbeiten, und er entsprechend engagiert ist.

Servicestelle SGB II: Welchen Einfluss könnte die Digitalisierung zukünftig auf die Vermittlungsarbeit der Jobcenter haben?

Thomas Kruppe: Viele Aufgaben werden zukünftig Computer oder Maschinen übernehmen. Aber das, was übrig bleiben wird, sind Dinge, die nur Menschen machen können. Soziale Kompetenzen, also zum Beispiel auch eine gute Kommunikation, das können Maschinen nicht ersetzen. Deshalb sagen Digitalisierungsexperten, dass soziale Kompetenzen künftig eine größere Rolle auf dem Arbeitsmarkt spielen werden. Eine Idee wäre daher, die Förderung dieser Kompetenzen in Maßnahmenpakete einzubauen – beispielsweise in die Förderung der Grundkompetenzen, was im Vorfeld einer Umschulung ja bereits möglich ist.