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Im Gespräch mit Hedel Wenner

1. September 2018

„Erwerbslosigkeit ist ein Trauma“

Eine schwarz-weiße Portrait-Zeichnung von Heder Wenner.
Hedel Wenner ist Diplom-Sozialpädagogin und Geschäftsführerin des Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ). Quelle: Kathrin Stoll

Servicestelle SGB II: Sehr geehrte Frau Wenner, zunächst einmal ein paar Worte zum KALZ. Was genau machen Sie?

Hedel Wenner: Wie unser Name schon verrät, verstehen wir uns als erster Anlaufpunkt für Erwerbslose. Das Kölner Arbeitslosenzentrum gibt es seit über 30 Jahren. Entstanden sind wir aus einer Selbsthilfegruppe, später wurden wir zum Verein mit Unterstützung des Evangelischen Sozialwerks. Heute bieten wir professionelle Beratung für Menschen ohne Erwerbsarbeit an und organisieren Projekte für Menschen ohne festen Wohnsitz.

Servicestelle SGB II: Wer kommt in Ihr Zentrum?

Hedel Wenner: Bei uns gibt es niemanden, den es nicht gibt. Zu uns kommen alle – vom Obdachlosen bis hin zum Wissenschaftler, der von Arbeitslosigkeit bedroht ist, aber auch viele Künstlerinnen und Künstler, die ihre Existenz nicht sichern können. Circa 20 Prozent der zu uns kommenden Ratsuchenden sind Akademikerinnen und Akademiker, 50 Prozent haben eine oder mehrere Berufsausbildungen. Zudem haben wir gut 40 Prozent Migrantinnen und Migranten sowie Deutsche mit Migrationshintergrund. Wir bieten allen Beratung an – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Ausbildung, Sprache oder Sonstigem.

Servicestelle SGB II: All diese Menschen eint, dass sie ohne Erwerbsarbeit sind. Was beschäftigt sie am meisten?

Hedel Wenner: Für fast alle ist Erwerbslosigkeit ein Trauma. Sie machen die Erfahrung, dass ihnen die Schuld für die Arbeitslosigkeit zugeschoben wird und nicht etwa dem Arbeitsmarkt. Die Leute kommen also zu uns und sagen als Erstes: „Ich bin nicht so wie die anderen.“ Gemeint ist das Klischee vom faulen Arbeitslosen, der dem Staat auf der Tasche liegt. Dabei können Erwerbslose ja nichts für die Arbeitsmarktsituation. Und meine Erfahrung zeigt: Bis auf einen verschwindend geringen Anteil wollen alle Menschen arbeiten und eine sinnstiftende Tätigkeit ausüben.

Servicestelle SGB II: Gibt es typische Problemlagen, die immer wiederkehren?

Hedel Wenner: Wir merken immer wieder: Je länger jemand arbeitslos ist, desto schwieriger ist es für sie oder ihn, zurückzufinden. Denn desto größer ist oft der Rückzug. Diese Menschen arrangieren sich mit ihrem Leben, aus der Ohnmacht heraus, etwas ändern zu können. Ihr Wissen, das auf dem Arbeitsmarkt gefordert wird, verliert an Aktualität. Im Beratungsprozess versuchen wir, die individuellen Begabungen, Fähigkeiten und beruflichen Erfahrungen wieder auszugraben und die Menschen zu ermutigen, damit auf den Arbeitsmarkt zuzugehen. Es wird aber immer auch Gruppen geben, die besondere Unterstützung benötigen, zum Beispiel Menschen ohne Schulabschluss oder mit Förderschulabschluss, ohne Ausbildung oder mit individuellen Problemlagen, die eher therapeutisch angegangen werden müssen. Kinder, Alter, Behinderungen oder Krankheiten verstehen wir jedenfalls nicht als Problemlagen oder Vermittlungshemmnisse, sondern als ‚arbeitsmarktliche Hürden‘, die auf dem Arbeitsmarkt integrativ berücksichtigt werden sollten. Ich finde, hier müssen auch stärker die Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden.

Servicestelle SGB II: Insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit wirkt sich auch auf das soziale Umfeld aus. Wie kommt das?

Hedel Wenner: Weil die Betroffenen sich durch ihre Erwerbslosigkeit sozial ausgegrenzt fühlen. Wer arbeitslos wird, muss mit einem enormen Ansehensverlust leben. Hartz IV ist ein Stigma. Ein wesentliches Problem ist auch das fehlende Geld und damit die schwindenden Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Wer mehr Geld hat, kann ganz anders wohnen, sich gesünder ernähren und auch mal mit Freundinnen und Freunden einen Kaffee trinken gehen.

Servicestelle SGB II: Was lernen wir daraus? Welche Beratung benötigen Erwerbslose am dringlichsten?

Hedel Wenner: Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe und beraten wertschätzend, unsere Kommunikation erfolgt auf Augenhöhe. Unser Ziel ist es, die Menschen, die zu uns kommen, so zu stärken, dass sie ihr Anliegen im Jobcenter selbst vertreten können und das zu tun, was für ihr Leben wichtig ist. Beratung hat für uns ganz wesentlich mit Vertrauen zu tun. Die Menschen kommen ja freiwillig zu uns. Wir hören ihnen unvoreingenommen zu, bieten ihnen eine professionelle und freundliche Atmosphäre und arbeiten im Prozess an ihren Wünschen für ihre Zukunft. Wir helfen dabei auch ganz handfest, etwa wenn es darum geht, Einkommensberechnungen des Jobcenters zu überprüfen oder einen Antrag für eine Weiterbildungsmaßnahme zu formulieren.

Servicestelle SGB II: Wie reagieren die Erwerbslosen?

Hedel Wenner: Die Menschen spüren, dass wir ihnen unvoreingenommen gegenübertreten. Im Beratungsprozess merke ich, wie sie sich öffnen und neue Ideen entwickeln und damit dann zu den Jobcentern gehen. Wenn dann jemand nicht wiederkommt, werte ich das als gutes Zeichen.