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Einen Computer und einen Kaffee, bitte! Digitalisierung lernen im Münchner Jobcenter-Café

16. August 2022

Das Jobcenter München eröffnete 2022 ein Beratungs- und Qualifizierungsangebot mit integriertem Café: Leistungsberechtigte können dort Computer und digitale Anwendungen ausprobieren – außerhalb der Dienstgebäude, ohne Termin und in entspannter Atmosphäre. Im CUP stehen die Türen offen und jede Frage ist erlaubt.

Wie funktioniert das E-Mail-Postfach? Sayed Sayedy erklärt es Tamana Schritt für Schritt. Fotos: Quirin Leppert / Servicestelle SGB II
Wie funktioniert das E-Mail-Postfach? Sayed Sayedy erklärt es Tamana Schritt für Schritt. Fotos: Quirin Leppert / Servicestelle SGB II

Tamana klappt entschlossen den Laptop auf. Sie hat neulich wieder etwas gelernt: E-Mails verschicken über Outlook. Das möchte die 24-Jährige noch einmal zeigen. Es ist ein grauer Donnerstagmittag in München, Tamana sitzt an einem langen weißen Tisch im Café CUP nahe dem Ostbahnhof. Die Räume sind frisch gestrichen und die Möbel ganz neu.

Seit Mai 2022 ist das CUP geöffnet, das als Projekt im Auftrag des Jobcenters München vom Träger Deutsche Angestellten-Akademie angeboten wird. Es ist mehr als eine Einrichtung für Computerkurse: Das Jobcenter hat mit dem CUP einen Raum geschaffen, in dem Menschen erste Schritte in die digitale Welt setzen können, ohne Voraussetzungen oder Verpflichtungen. Die Motivation entsteht durch Erfolgserlebnisse – deshalb kommt auch Tamana immer wieder.

Zum Konzept gehört eine persönliche und individuelle Betreuung. Sayed Sayedy kommt hinzu und setzt sich neben Tamana an den Tisch. „Du bist jetzt hier gerade in der App“, erläutert Sayedy, der als Coach im CUP arbeitet. „Sollen wir noch einen neuen Account einrichten? Tipp mal Account, auf Englisch. A und dann c und nochmal c …“

Tamana besucht das CUP häufig. Esra (links) kommt beinahe täglich, weil sie klare berufliche Ziele vor Augen hat.
Tamana besucht das CUP häufig. Esra (links) kommt beinahe täglich, weil sie klare berufliche Ziele vor Augen hat.

Tamana kam 2016 als 18-Jährige mit ihren beiden Brüdern nach Deutschland, als Flüchtlinge ohne ihre Eltern. Sie ist in Afghanistan geboren, im Iran aufgewachsen. Erst in Deutschland lernte sie die Sprache. „Mein Deutsch ist noch nicht gut“, sagt Tamana, obwohl sie in fließendem Deutsch ihre Geschichte erzählt. Sie spricht leise, wirkt zurückhaltend – und fällt dennoch auf, weil sie jeden Satz mit einem Lächeln beendet.

Auch Digital Natives haben Computer-Fragen

Tamana steht mitten im Arbeitsleben. Sie absolviert eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin und wird dabei vom Jobcenter unter anderem mit Ausbildungsbeihilfe unterstützt. Obwohl sie zur Generation der Digital Natives gehört, hat sie sich am Computer bislang kaum etwas zugetraut. Dieses Problem sei ohne Angebote wie das CUP kaum lösbar, sagt Projektleiterin Susanne Grandt. „Eine Berufsschule setzt Computerkenntnisse häufig voraus. Man kann sich kaum vorstellen, wie überfordert eine junge Frau zum Unterricht oder zur Arbeit geht, wenn solche Grundlagen fehlen und niemand sie mal ganz in Ruhe erklärt.“

Diese Lücke füllt nun das CUP – und die Lücke ist groß. Susanne Grandt hat viele Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung. „Die Träger werden immer häufiger mit Anfragen von Menschen konfrontiert, die im Digitalen nicht zurechtkommen“, sagt Grandt. Dabei seien zumindest Grundkenntnisse inzwischen unverzichtbar. „Kein Beruf ist mehr rein analog“, sagt Grandt und es gehe ja noch viel weiter: „Die Kita-Anmeldung in München läuft online, das polizeiliche Führungszeugnis beantragen Sie digital, manche Behörden vergeben Termine ausschließlich online.“

Liska Huber vom Jobcenter (links) und Susanne Grandt vom CUP freuen sich, dass ihr Angebot gut angenommen wird.
Liska Huber vom Jobcenter (links) und Susanne Grandt vom CUP freuen sich, dass ihr Angebot gut angenommen wird.

Die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher sind vielfältig – aber die bisherige Erfahrung zeigt: die Nachfrage ist da. 25 bis 30 Menschen kommen pro Tag ins Café, Tendenz steigend. Einige für eine kurze Frage, andere vertiefen sich teils stundenlang in die Arbeit an einem der geliehenen Laptops. Um die 80 Prozent der Menschen, schätzen Jobcenter und CUP, kommen beinahe ohne digitale Vorkenntnisse in das Café. Für sie geht es um die absoluten Grundlagen. Die Projektverantwortliche im Jobcenter, Liska Huber, beschreibt es konkret: „Es geht den Menschen um Fragen wie etwa: Wie schalte ich einen PC ein? Wie mache ich einen Rechtsklick? Das sind Grundlagen, die überall schon vorausgesetzt werden. Aber hier im CUP wird nichts vorausgesetzt. Die Menschen werden da abgeholt, wo sie mit ihren Kenntnissen stehen.“

Seine Tür ist nicht nur fürs Foto offen: Karriere-Coach Andreas Jebara berät Tamana auch spontan.
Seine Tür ist nicht nur fürs Foto offen: Karriere-Coach Andreas Jebara berät Tamana auch spontan.

Ein Stockwerk über dem Café finden die Kurse in kleinen Gruppen statt. Neue Kurse beginnen regelmäßig und umfassen kurze Lerneinheiten – die Grundlagen der Textverarbeitung zum Beispiel sechs Einheiten. „Es ist uns wichtig, dass die Kurse auch mit wenigen Teilnehmenden immer stattfinden, um langen Wartezeiten und Enttäuschungen über abgesagte Kurse vorzubeugen“, sagt Huber. Das gesamte Konzept für das CUP, die Kombination aus Café, Kursen und Beratung, entwickelte das Jobcenter auf einen Aufruf der Bundesagentur für Arbeit hin, kreative Lösungen für Bildungsangebote im Digitalen zu schaffen. Aus internen Workshops und Gesprächen mit Trägern entstand das CUP innerhalb eines Jahres.

Vom Laptop bis zum 3D-Drucker: Teilnehmende können testen

Einer der Kursleiter ist Sayed Sayedy. Herr Sayedy sei ein Allrounder, sagt Teilnehmerin Esra voller Wertschätzung. Der gebürtige Afghane hat eine IT-Ausbildung bei der Bundeswehr absolviert, später als interkultureller Vermittler Soldaten geschult und berufsbegleitend studiert. Nun erläutert Sayedy Computerprogramme, wie so ein Rechner überhaupt aufgebaut ist und er programmiert neue Projekte für einen 3D-Drucker ein.

Der 3D-Drucker macht digital programmierte Projekte anfassbar. Esra (links) und Tamana schauen interessiert zu.
Der 3D-Drucker macht digital programmierte Projekte anfassbar. Esra (links) und Tamana schauen interessiert zu.

Auch dieses Gerät gehört zum CUP. Der 3D-Drucker soll Faszination für die Möglichkeiten der digitalen Welt vermitteln. In einem Kurs können Teilnehmende selbst kleine Druckaufträge programmieren. Gerade entsteht im 1. Stock ein kleines Gefäß im 3D-Drucker. Tamana und Esra stehen mit großen Augen vor dem Gerät. „Inzwischen werden mit größeren Druckern ganze Häuser ausgedruckt. Oft auch medizinische Produkte“, sagt Sayedy. „Hier in Bayern gibt es einige Firmen in dem Bereich, da werden noch viele Jobs entstehen.“ Tamana hat sich den Drucker schon vorher angeschaut. Sie würde sich nach der Ausbildung gerne weiterentwickeln – und könnte sich sogar einen Job im IT-Bereich vorstellen. „Wir vermitteln hier keine Theorie, sondern ausschließlich Praxiswissen, mit denen die Menschen arbeiten können“, erläutert Sayedy.

Wer einmal im CUP war, kommt gerne wieder

„Herr Sayedy ist ein Vorbild“, sagt Esra plötzlich. Sayed Sayedy sagt „Oh“, freut sich über das unerwartete Lob und erzählt: „Esra gehört zu unseren aktivsten Teilnehmerinnen, sie ist fast jeden Tag hier.“ Esra hat türkische Wurzeln und ist in Norddeutschland geboren, als Kind kam sie nach Bayern. Sie ist gelernte Konditoreifachverkäuferin und hat später auch als Verkäuferin in einem Möbelhaus gearbeitet. Damals ging es noch fast ohne Computer.

Esra hat im CUP viel dazu gelernt. Mitarbeiterin Silvia Auster ist aber zur Stelle, wenn es Fragen gibt.
Esra hat im CUP viel dazu gelernt. Mitarbeiterin Silvia Auster ist aber zur Stelle, wenn es Fragen gibt.

Esra wurde schwanger und legte als Mutter eine berufliche Pause ein, sie jobbte als Aushilfe, doch lange stoppte eine Krankheit einen Wiedereinstieg ins Berufsleben. Jetzt, im CUP, schmiedet sie neue Pläne. Esra will noch einmal durchstarten und ist motiviert, etwas zu erreichen. Im CUP hat sie schon diverse Kurse besucht.

Wer ein Kursangebot sucht oder Karrierefragen hat, geht zum Beispiel zu Andreas Jebara. Der Coach für berufliche Orientierung hat meistens ein offenes Ohr, auch ohne Termin. Genau dies sei hier besonders erfolgreich. „Durch die Freiwilligkeit kommen die Menschen mit einer großen Motivation und sie kommen auch meistens wieder“, sagt Jebara. Innerhalb der ersten Wochen schrieb er schon 200 verschiedene Namen auf die Teilnehmendenlisten – das Jobcenter und auch Träger machten auf das CUP aufmerksam. „Ich kann mir vorstellen, dass eine Stadt wie München mehr als ein CUP bräuchte“, sagt Jebara. „Der Bedarf ist da.“ 

(Namen der beiden Projektteilnehmerinnen auf deren Wunsch von der Redaktion geändert.)

Gemeinsames Projekt: Liska Huber und Susanne Grandt entwickeln die CUP-Idee für das Jobcenter und den Träger stets weiter.
Gemeinsames Projekt: Liska Huber und Susanne Grandt entwickeln die CUP-Idee für das Jobcenter und den Träger stets weiter.