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An Krisen wachsen

2. Februar 2019

Wie aus einer kräfteweckenden Schulung für die Belegschaft des Jobcenters Pro Arbeit im Kreis Offenbach ein neuer Kundenworkshop wurde.

Francesca Palma und Dirk Reiner beim Interview in Reiners Büro.
Quelle: Dorothee Holtz

„Ich fürchte, es mangelt Ihnen an Resilienz.“ „Aber ich wurde doch geimpft!“ Dieser Scherz verdeutlicht: Es gibt viele Menschen, die mit dem Begriff Resilienz nicht viel anfangen können. In einer Schulungsreihe des Jobcenters Pro Arbeit – Kreis Offenbach fanden im Herbst 2014 gleich mehrere Veranstaltungen statt, die der Belegschaft vermittelten, wie man Krisen bewältigt und sie als Chancen zur eigenen Entwicklung nutzt.

Francesca Palma, damals als Jobcoach im Hause tätig, erinnert sich: „Uns war zunächst wichtig, eine griffige Übersetzung des Begriffs Resilienz zu finden. In Abwandlung einer bekannten Formel kamen wir auf den Satz: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“ Die 48-Jährige lacht auf und steckt mit ihrer Fröhlichkeit auch ihren Kollegen Dirk Reiner an. „Das Ganze ging auf eine Idee der Personalabteilung zurück“, erinnert sich der Sachgebietsleiter, damals PalmasVorgesetzter. „Die Kolleginnen und Kollegen dort achten sehr auf Weiterbildung und auch auf Gesundheitsmaßnahmen, weil die Belastungen in unserer Behörde hoch sind. Und wir wollten mal von einer anderen Seite schauen, wie man mit solchen Belastungen am besten umgeht.“

Francesca Palma und Dirk Reiner haben sich für unser Interview in Reiners Büro getroffen. Anders als 2014, sitzen die beiden jetzt nicht mehr im selben Gebäude, sondern an zwei verschiedenen Standorten des Jobcenters. Auch ihre Karrieren verliefen unterschiedlich: Palma ist Lehrerin, arbeitete als Kartografin, machte kürzlich einen Master in systemischer Beratung und ist aktuell Projektentwicklerin für internationale Projekte bei der Pro Arbeit. Der 43-jährige Reiner studierte in Marburg Jura, arbeitete etliche Jahre als Anwalt und fing 2008 im Jobcenter als Coach an.

„Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“

Gefragt nach ihren Gefühlen beim Resilienz-Workshop, erinnern sich beide an die Ambivalenz, die zunächst im Raum hing. Denn im Kollegenkreis offen über die eigene Gesundheit und den Umgang mit Krisen zu reden, erfordert eine konstruktive Atmosphäre und sehr viel Vertrauen. „Man kann ja niemanden zur Selbstreflexion nötigen, nur weil die Teilnahme am Workshop verpflichtend ist“, gibt Palma zu bedenken. „Die eigene Haltung steht dabei auf dem Prüfstand, nicht nur die berufliche, auch die Privatsphäre spielt hier hinein. Einige Kolleginnen und Kollegen konnten dort sehr viel mitnehmen, bei anderen gab es ein wenig Widerstand.“

Sehr nützlich, das bestätigen beide, empfanden die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Schulung für ihre Fallberatungen. Denn bei besonders problematischen Fällen fällt es ihnen oft schwer, die Distanz zu wahren. Dann läuft man als Berater Gefahr, emotional mitzuleiden. Auf der Habenseite steht für Palma ferner die gestärkte Akzeptanz, dass manche Dinge – Rahmenbedingungen, Strukturen – nicht änderbar sind. „Ich bin eine Kämpferin, aber nicht bis zum Äußersten“, erklärt die gebürtige Italienerin, die auf einem sizilianischen Militärflughafen zur Welt kam und vor 20 Jahren nach Deutschland auswanderte. Sie fügt ein philosophisches Bonmot ihrer Großmutter hinzu: „Was rund in die Welt kommt, verlässt sie nicht quadratisch.“

Der Niedersachse Dirk Reiner, der schon immer fest an das Gute im Menschen glaubt, hört mit freundlich-leisem Lächeln seiner Ex-Mitarbeiterin zu. Er gibt offen zu, dass er mit dem Thema Resilienz zunächst nicht allzu viel anfangen konnte. „Doch dann kam mir vieles davon bekannt vor, weil ich es schon umsetze. In dem Workshop konnte ich meinen Grundoptimismus aber noch einmal bestärken, also dass man die Sachen am Ende schon hinbekommt.“

Wie aber konnte aus einer internen Jobcenterschulung ein Kundenworkshop werden? Zwei Dinge kamen hier zusammen. Zum einen hatte Reiners siebenköpfiges Team den Auftrag erhalten, neue Beratungsinstrumente für Langzeitarbeitslose zu entwickeln. Aus diesem Grund liefen im Rahmen des Bundesprogramms „Soziale Teilhabe“ bereits monatliche Gruppenveranstaltungen. In Erinnerung an die Resilienzschulungen kam nun zum anderen die Überlegung auf: Wenn uns der Austausch zum Thema Resilienz so viel Kraft geben konnte, könnten wir das Ganze doch auch für unsere Kundinnen und Kunden nutzen! „Krisenbewältigung hat mit dem Menschen zu tun, egal in welcher Position er steht, egal ob er Kunde oder Coach ist. Das lässt sich überallhin übertragen“, umreißt Francesca Palma den Ansatz. „Selbstachtung, Selbststeuerung, Selbstverantwortung, in der Kommunikation fähiger werden, das alles sind Teilgebiete des Resilienzthemas.“

Dirk Reiner, der selbst auch schon kurzzeitig auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, nennt noch einen anderen Aspekt: „Kundinnen und Kunden, die in neuen Maßnahmen stecken oder Jobs angenommen haben, beginnen oft, sich zu viel vorzunehmen. Es fällt ihnen schwer, sich vernünftig abzugrenzen. Einige rutschen dadurch wieder in Krankheiten. Sie wollen in ihrer Begeisterung gleich von null auf hundert gehen. Wir sehen Resilienz als geeignet, dieser Überforderung entgegenzuwirken.“

„Gerade bei der Arbeitssuche gibt es ja viele Momente, wo Frustrationen auftauchen, und da helfen solche Kenntnisse.“

„Resilienz am Arbeitsplatz“ lautete also das Thema für die Gruppenveranstaltung. Die Zielgruppe umfasste knapp 50 Kundinnen und Kunden. Zu den Inhalten gehörten die sieben Stufen der Resilienz, eigene Denkmuster erkennen und Achtsamkeit trainieren. Heikel dabei war wiederum, über persönliche Haltungen und Werte zu sprechen. Gleichzeitig bot sich hier eine große Chance für die Betroffenen: Jeder brachte eine eigene Geschichte mit, konnte Tipps geben, Erfahrungen teilen und dadurch helfen, Ängste abzubauen und sogar kleine Erfolge im beruflichen und persönlichen Vorankommen sichtbar machen. Diese Sichtweise überwog schließlich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Heute sind Reiner und Palma überzeugt: Resilienz ist ein Dauerbrenner. Warum sollte die Materie nur Menschen in Jobs interessieren? „Man kann das Thema gut auf die Arbeitssuche übertragen und entsprechende Workshops mit Arbeitssuchenden machen“, nickt Reiner. „Gerade hier gibt es ja viele Momente, wo Frustrationen auftauchen, und dann helfen solche Kenntnisse.“ Palma wirft beide Hände in die Luft: „Es ist fantastisch, immer wieder diesen Elan zu haben, Dinge verändern zu wollen. Nicht alles, aber manches. Das ist toll, das ist unsere Botschaft!“