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Wenn der Funke überspringt

1. November 2018

Der berufliche Alltag im Jobcenter ist fordernd und stellt die Beschäftigten so manches Mal vor schwierige Situationen im Umgang mit Menschen. Um besser mit Stress umgehen zu lernen und die Beziehungen untereinander zu stärken, verbrachte die Mehrzahl der Belegschaft des Jobcenters Dachau ein ganzes Herbst-Wochenende im Grünen − bereits zum dritten Mal.

Jobcenter-Mitarbeitende pusten Seifenblasen.
An der Station Luft geht es um gegenseitige Motivation und die Größe der Seifenblasen. Quelle: Jens Wegener

Wir sind im Gasthof „Zur Post“ im bayerischen Kurort Tännesberg. Gut zwei Drittel der Jobcenterbelegschaft Dachau verbringt hier von Freitagabend bis Sonntagmittag die Zeit damit, sich besser kennenzulernen. Das Ziel: Teamgeist fördern, Teamfähigkeit trainieren, die seelische Widerstandskraft stärken. Thematische Überschrift: Resilienz.

„Suchen Sie sich ein Bild, das zu Ihrer Stärke passt!“ Christine Lehner beobachtet gespannt, wie die zwölf Workshop-Teilnehmenden durch den Raum gehen und eines der bunten Fotos vom Fußboden auswählen. Lächelnde Menschen sind auf den Bildern, Bäume oder Zeichnungen, freundliche Tiere. Auf einem Flipchart an der Wand steht: „Unter Stress stürzt das Denken in den Keller.“

Christine Lehner führt seit zwanzig Jahren solche Veranstaltungen durch. In ihrem Workshop gibt sie einen Einblick in mentale Techniken, die dabei unterstützen, auch in unsicheren Situationen souverän zu bleiben. Das Wort Resilienz stößt dabei noch oft auf große Augen bei den Teilnehmenden. Lehner hat dann eine gute Erklärung parat: „Stellen Sie sich einen Ball vor, der an einer Stelle eine Delle hat. Diese Delle wieder wegzukriegen, dass die Sache wieder rund wird − das ist Resilienz.“ Ganz konkret wird sie den Teilnehmenden später empfehlen, Bilder, Körperhaltungen und das Steuern von Gedanken im Berufsalltag für sich zu nutzen.

Jobcenter-Beschäftigte stehen bei einem Workshop im Kreis. Auf dem Boden in der Mitte liegen Fotos.
Eigene Stärken verbildlichen: Einer der beiden Workshops am Samstagvormittag. Quelle: Jens Wegener

Gutes Betriebsklima − sinkende Fluktuation

Während die eine Hälfte der Dachauer Beschäftigten in Lehners Workshop ihre Stärken verbildlicht, widmet sich die andere Hälfte eine Etage tiefer Fragen der Entspannung und des körperlichen Gleichgewichts. Gesundheitsberaterin Martina Gradl füllt mit ihrer hellen Stimme den Raum. „Katzen sind die Meister im Entspannen. Die machen das von Natur aus“, sagt sie in schönstem bayerischen Tonfall. Die Zuhörerinnen und Zuhörer lachen und stellen sich im Kreis auf für die nächste progressive Muskelentspannung. Mittendrin: Jobcenter-Chef Peter Schadl. In seiner Vorabplanung findet sich der Gedanke: „Um den Herausforderungen des Jobs gewachsen zu sein, brauchen wir Zugang zu unseren Ressourcen, inneren Halt und Gelassenheit − das Gefühl, auch in stürmischen Gewässern auf Kurs zu bleiben.“ Um dies zu erreichen, hat Schadl nach 2012 und 2015 seine Einrichtung nun zum dritten Mal ins Grüne gebeten. „Damit wir ein gutes Betriebsklima herstellen, damit die Kollegen gern zum Arbeiten ins Haus kommen und damit wir gute Ergebnisse erreichen.“

Arno Böck ist seit 2004 in Schadls Team. Er hat alle bisherigen Themen-Wochenenden mitgemacht und kommt gern ins Haus. Die heute gelernten Entspannungstechniken plant er auch bei eskalierenden Kundenkonflikten zu nutzen: „Wie krieg ich die Sache wieder in den Griff, wie kann ich mich selber beruhigen.“ Sein Kollege Thomas Blechschmidt − seit Januar 2018 im Jobcenter Dachau − winkt hingegen ab. „Stressmanagement, das brauch ich noch nicht“, lacht der 28jährige BWLer, er freue sich mehr auf die Naturrallye am Nachmittag. Seinen aktuellen Arbeitgeber und die Kolleginnen und Kollegen schätzt er sehr: „In Dachau ist es ein echtes Miteinander“, sagt der Arbeitsvermittler, der vorher in einer großen Arbeitsagentur arbeitete. „Wenn ich hier eine fachliche Frage habe, an die Leistungsabteilung etwa, dann weiß ich, wer da zuständig ist, dann geh ich da einfach hin und frag nach. Der Umgang ist fast schon familiär.“ Wohl auch deshalb arbeitet ein Drittel der Belegschaft schon zehn Jahre oder länger konstant im Jobcenter. Seit 2010, als nach und nach dauerhafte Stellen geschaffen wurden, ist die Fluktuation praktisch auf Null gesunken.

Peter Schadl trägt ein kariertes Hemd, steht im Gang eines Reisebusses und lacht.
Geschäftsführer Peter Schadl hat das Wochenende akribisch geplant. Quelle: Jens Wegener

Den Arbeitsalltag anderer Abteilungen kennenlernen

Die beiden Workshops am Samstagvormittag stehen jedoch nicht am Beginn des Wochenendprogramms. Tags zuvor hatte der Bus auf dem Weg nach Tännesberg noch einen Abstecher ins Servicecenter Weiden gemacht, wo telefonische Kundenanfragen für Bayern und Teile von Sachsen und Baden-Württemberg entgegengenommen werden. Die Dachauer durften mit dem Kopfhörer dabeisitzen und zuhören. Verwaltungsfachwirtin Tamara Bader staunt jetzt noch: „Das war hochspannend. Normalerweise kriegen wir ja nur das Ticket mit dem Fall und was konkret passiert ist, aber uns fehlt ja meist der Hintergrund. Das ging rasend schnell: zuhören, Programme öffnen, Notizen machen, und immer sachkundig und freundlich auftreten. Das hat mir Respekt eingeflößt.“ Die 27-Jährige befindet sich kurz vor Ende ihrer Elternzeit. Das Resilienz-Wochenende wollte sie auf keinen Fall verpassen.

Am Abend gab es dann einen humorvollen Einstieg per „Team-Activity“, wo ganz gegenständliche Begriffe wie Teeküche, Bürostuhl, aber auch Fachvokabular wie erwerbsfähiger Leistungsberechtigter oder E-Akte zu erraten waren. Zur Erheiterung und Erschwernis gleichermaßen wurde das Begrifferaten mit Aktivitäten wie Seilhüpfen verknüpft.

Wertschätzender Umgang ist wichtig für gute Ergebnisse

Zurück zum Gasthof „Zur Post“: Draußen läuft der Bus warm, der die Teilnehmenden etwa 30 Kilometer weiter zum nächsten Event in die grüne Natur bringen wird. Peter Schadl steht in Jeans und kariertem Hemd im Gang und zählt seine Schäfchen. Alle an Bord? Abfahrt!

Schadl ist seit 2005 Leiter des Jobcenters Dachau, stammt aus der Gegend, hat die ALG 2-Umstellung in München mitbetreut. Warum bugsiert er sein Team immer wieder in die Natur? „Die Führungskräfte bringen keinen einzigen Arbeitslosen in Arbeit, das machen die Beschäftigten“, erklärt der Verwaltungswirt. „Da müssen sie auch den Kopf freikriegen, gerade in schwierigen Situationen. Nicht verzagen, sondern eigene Stärken abrufen, sich mit Kollegen austauschen und dann zusammen mit den Leistungsberechtigten am Ergebnis arbeiten.“ Schadl erhofft sich für den Alltag im Büro eine gewachsene Freundlichkeit, auch Gelassenheit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in schwierigen Belastungssituationen zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen.

Er macht die vergleichsweise guten Ergebnisse seines Hauses auch an dem wertschätzenden Umgang fest − sowohl im Kollegenkreis als auch im Verhältnis zu Kundinnen und Kunden: „Ein motiviertes Personal, das weiß, dass die Führungskräfte hinter ihm stehen, ist wichtig für gute Integrationsergebnisse.“ Nicht wertschätzend heißt für Schadl: ins Wort fallen, Ideen abwerten, oberlehrerhaft auftreten. Das führe beim Team zu Dienst nach Vorschrift, und die Ergebnisse gehen in den Keller. „Ich ermuntere meine Mannschaft zu neuen Ideen und mutiger Umsetzung. Nur wer keine Angst vor Fehlern hat, traut sich was zu.“

Jobcenter-Mitarbeiterinnen stehen zusammen und lachen.
Bei den Ergebnissen zählt weniger das Resultat als das gemeinsame Raten. Quelle: Jens Wegener

In der Natur ist der Mensch bei sich

Inzwischen ist der Bus mit Tempo 40 durch die oberpfälzische Hügellandschaft gekurvt und macht vor dem 500-jährigen Schloss Guteneck Halt. Dort gibt es ein Wiedersehen mit Astrid Knab, die als Verantwortliche für die Gestaltung dieses Tages alle Teilnehmenden schon am Morgen bei der Einführung begrüßt und kennengelernt hatte. Gemeinsam mit ihren Helfern übernimmt sie die Gestaltung des Nachmittags mit einer Naturrallye und begleitet auch das Abendprogramm. Die Ambergerin hat einiges vor mit den Dachauer Jobcenter-Beschäftigten. Zunächst bildet sie vier Teams, indem sie jedem Ankömmling eines von vier verschiedenen Objekten − Feder, Stöckchen, Ahornblatt und Stein − reicht, die dann mit geschlossenen Augen zu ertasten sind. Auf diese Weise werden per Zufall gut durchmischte Gruppen gebildet. „Bei der Rallye müssen diese Menschen dann zusammenarbeiten, Aufgaben gemeinsam meistern und gucken, wie sie sich gegenseitig unterstützen“, erklärt die Umweltpädagogin, die für verschiedene Einrichtungen und Bildungsträger in der Region tätig ist.

In den Teams gilt es nun, Fragen zu beantworten und Aufgaben zu meistern. Themen sind die vier Elemente: Erde, Luft, Wasser, Feuer. Während an der Station Erde Kräuterquark herzustellen ist, sollen die Teilnehmenden an der Station Luft möglichst große Seifenblasen erzeugen sowie an kleinen Blechdosen riechen: Was könnte da wohl drin sein? An der Station Wasser sind mit wassergefüllter Schöpfkelle Steine zu erklimmen. Die Station Feuer ist die schwierigste: Mit Kieselstein und Metallbügel soll der Mensch hier ein Feuer entzünden. „Mal schauen, ob der Funke überspringt“, lächelt Knab in die Runde und schickt die 25 Dachauer an die Stationen.

Was ist ihr Hintergedanke bei all dem? „Ich erkunde und entdecke gern“, sagt die Naturexpertin mit warmer Stimme. „Diese Neugier, das Stückweit Kindwerden möchte ich gern weitergeben. Die Natur ist eine tolle Ressource, eine Kraftquelle, super geeignet dafür, den Kopf freizukriegen: Feuer machen, Blätter sammeln, da ist der Mensch ganz bei sich.“

Ein künstlerisches Bild aus Steinen, Blättern, Blüten, Eichel, Früchten und Tannenzapfen.
Manche Teilnehmende offenbaren überraschendes Kunstgeschick. Quelle: Jens Wegener

Man glaubt oft zu schnell, etwas zu wissen

Drei Stunden später ist Astrid Knab umringt von leuchtenden Augen. Jeder und jede hat ein Lieblingselement gefunden, Seifenblasen platzten unter großem Hallo, zwei Gruppen haben trotz des feuchten Wetters erfolgreich Feuer gemacht und heimsen ein Extralob von Knab ein.

Franziska Dörre − noch leicht außer Atem − ist von der Rallye begeistert: „Ich finde es echt super, dass unser Chef sowas auf die Beine stellt. Normalerweise hat man nicht so viel Zeit, mit den Kollegen was zu machen. Es ist sehr schön, wenn man sich auch mal außerhalb der Arbeit trifft und wahrnimmt.“ Die 32jährige Sachbearbeiterin freut sich besonders über neue Sichtweisen auf ihre Kolleginnen und Kollegen. „Man findet einen anderen Bezug zu den Anderen, entdeckt neue Facetten, man entdeckt Seiten an den Menschen, die einem im Berufsalltag verborgen bleiben.“

Arno Böck hat an der Luft-Station an den Blechdosen gerochen und viele Inhaltsstoffe richtig erraten. Übungen wie diese ließen einen bewusster an die Sachen rangehen, sagt er, und findet für die Arbeit im Jobcenter eine interessante Parallele: „Es ist manchmal gut, dass man die Sachen länger auf sich wirken lässt, bevor man eine Entscheidung fällt. Man glaubt oft zu schnell, etwas zu wissen, und dann ist es doch anders.“

Vom Geschäftsführer zum Freiherren

Anders als von vielen erwartet verläuft auch das Abendprogramm. Während draußen die Sonne untergeht, haben sich im Schlossinneren die Jobcenter-Beschäftigten in Ritter und Burgfräulein verwandelt. Kränze aus Efeu bedecken die Köpfe, ein Leierkastenmann und ein Lautenspieler spielen zum Tanz, die Tische biegen sich unter Fleisch, Fisch und Kaiserschmarren. Daneben steht der selbstgemachte Kräuterquark vom Nachmittag.

Geschäftsführer Schadl hat Jeans und Hemd gegen Metallhaube und Tunika getauscht und nennt sich jetzt Freiherr von Tandern. Zwischen zwei Schlucken Met zieht er ein frohes Resümé: „Die Kollegen sind mit- und untereinander super ins Gespräch gekommen, die Bereiche haben sich menschlich angenähert.“ Man darf gespannt sein, was Schadl 2021 mit seiner Truppe vorhat.

Bildergalerie

  • Jobcenter-Beschäftigte strecken die Arme.

    Wenn der Funke überspringt

    Allezeit hilfreich: Entspannungstechniken für den Büroalltag Quelle: Jens Wegener
  • Porträt Tamara Bader. Sie hat lange blonde Haare und lächelt.

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    Die 27-jährige Mitarbeiterin Tamara Bader nahm trotz Elternzeit am Resilienzprogramm teil. Quelle: Jens Wegener
  • Gruppenfoto vor einer großen braunen Statue, drumherum grüne Wiesen.

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    Fototermin am Zehn-Meter-Bär vor Schloss Guteneck. Quelle: Jens Wegener
  • Eine Frau mit Haarband hält eine silberne Dose in der Hand. Einige Frauen sthen um sie herum, eine Frau greift hinein.

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    Naturrallye am Nachmittag: Astrid Knab verteilt Zunder zum Feuermachen. Quelle: Jens Wegener
  • Porträt Franziska Dörre. Sie hat ein längliches Gesicht und glatte lange braune Haare.

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    Ist ihrem Chef dankbar für sein Engagement: Mitarbeiterin Franziska Dörre Quelle: Jens Wegener
  • Jobcenter-Mitarbeiter riecht an einer Dose.

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    An dem Resilienz-Wochenende werden alle fünf Sinne angesprochen. Quelle: Jens Wegener
  • Porträt Thomas Blechschmidt. Er hat ein rechteckiges Gesicht sowie kurze braune Haare und trägt einen Drei-Tage-Bart.

    Wenn der Funke überspringt

    Mitarbeiter Thomas Blechschmidt schätzt die familiäre Arbeitsatmosphäre im Jobcenter Dachau. Quelle: Jens Wegener
  • Porträt Arno Böck. Er hat kurze graue Haare, trägt eine Brille sowie Drei-Tage-Bart und lacht.

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    Arno Böck ist seit 2004 am Jobcenter und hat alle drei Themen-Wochenenden mitgemacht. Quelle: Jens Wegener
  • Jobcenter-Mitarbeitende pusten Seifenblasen.

    Wenn der Funke überspringt

    An der Station Luft geht es um gegenseitige Motivation und die Größe der Seifenblasen. Quelle: Jens Wegener
  • Jobcenter-Mitarbeitende sammel Kräuter auf einer großen Wiese

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    Zutaten für den Kräuterquark: Auf der Pirsch nach würzigem Grün. Quelle: Jens Wegener
  • Jobcenter-Beschäftigte pusten auf den Zunder, um Feuer zu machen

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    Feuermachen erfordert Geduld und Teamwork − zwei Fähigkeiten, die Jobcenter-Beschäftigte auch im Berufsalltag gut gebrauchen können. Quelle: Jens Wegener
  • Jobcenter-Beschäftigte sitzen im Kreis ums Feuer

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    Kurz vor der Dämmerung: Abschlusskreis am selbstgemachten Feuer Quelle: Jens Wegener