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3 Fragen an Andrea Martin

30. August 2018

Landesweit schreiben Frauen schlechtere Integrationszahlen als Männer. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie die Ansätze zur Veränderung dieser Situation. Andrea Martin, Fachbereichsleiterin Arbeit und Integration im Landkreis Marburg-Biedenkopf und zuständig für das dortige Jobcenter, beschreitet einen ganz speziellen Lösungsweg. Stichwort: Gender Budgeting.

Porträtfoto von Andrea Martin. Sie hat schulterlange braune Haare und braune Augen.
Andrea Martin, Fachbereichsleiterin Arbeit und Integration im Jobcenter Landkreis Marburg-Biedenkopf

Servicestelle SGB II: Frau Martin, was genau ist Gender Budgeting, und was bringt uns das?

Andrea Martin: Gender Budgeting ist eingebettet in die Gesamtstrategie des Jobcenters. Es geht zunächst darum, das Budget entsprechend der spezifischen Bedarfe auf Frauen und Männer aufzuteilen. Wir haben uns die Eingliederungszuschüsse in den Haushalten angesehen: Wie viel Prozent davon gingen an Männer, wie viel an Frauen. Wir haben ein Ungleichgewicht zugunsten der Männer festgestellt. Unser Gedanke war: Wenn man Frauen stärker fördert, stärker anspricht, stärker qualifiziert, erhöht man ihre Markt- und Erwerbschancen. Und wenn ihre Erwerbs- und Verdienstchancen größer sind, stärkt man sie damit auch in der Paarbeziehung. Weil es sich dann für die Bedarfsgemeinschaft lohnt, wenn die Frau arbeitet. Gender Budgeting erhöht also letztlich die Chancen von Frauen, arbeiten zu gehen. Das ist ja genau unser Auftrag: Frauen in Arbeit zu bringen und geschlechtsspezifische Nachteile auszugleichen.

Servicestelle SGB II: Wie gehen Sie dabei konkret vor?

Andrea Martin: Wir haben eine sechsköpfige Projektgruppe aus internen Mitarbeitenden und externen Partnern gebildet, die sich mit Frauenförderung beschäftigt und die einmal im Quartal zusammenkommt. Zusammen schauen wir uns an: Wie viele Frauen sind in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen? Wie viele Männer? Was hat sich wie entwickelt? Wie viel Geld geben wir an welcher Stelle aus? Oder auch inwieweit partizipieren Frauen an unseren Angeboten und wo müssen wir nachsteuern? Das ist also weniger anlassbezogen oder situativ, sondern eine nachhaltige und verstetigte Vorgehensweise. Eins ist aber klar: Gender Budgeting allein reicht nicht aus, es geht auch immer darum, den Blick für die Unterschiede von Frauen und Männern bei der Integration zu schärfen.

Servicestelle SGB II: Wie sieht Ihr Fazit nach fast zehn Jahren Gender Budgeting aus?

Andrea Martin: Ich war anfangs mehr als skeptisch, aber es hat sich mehr als gelohnt. Ich war skeptisch, weil es ungemein schwierig ist, jedes Eingliederungsbudget so zu bewirtschaften, dass man am Jahresende sicher sein kann, das Geld sinnvoll ausgegeben zu haben. Weil es Störungen von außen gibt − konjunkturelle Schwankungen, Budgetschwankungen, es gibt Ausschreibungen mit ungewissem Ausgang, kurz: das Budget gut zu planen, ist ohnehin schwer, es geschlechtergerecht zu planen, noch schwerer. Ich sah auch einen Zielkonflikt, denn Jobcenter werden an ihrer Integrationsleistung gemessen und nicht an ihrem Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit. Meine Befürchtung war, dass wir zwar mehr Geld für Frauen ausgeben, es uns aber dann bei den Männern fehlt und wir letztlich insgesamt weniger Integrationen in Arbeit haben. Jetzt weiß ich, beide Zielrichtungen schließen sich nicht aus. Ganz im Gegenteil: Nach der Einführung des Gender Budgeting stiegen wir in unserer Benchmarking-Vergleichsgruppe bei der Integration von Frauen auf Platz 1. Ob das Gender Budgeting ursächlich war, kann niemand sagen, aber einen Zusammenhang darf man vermuten. Ohnehin denke ich, man sollte auch mal unkonventionelle Dinge versuchen, das Risiko des Scheiterns eingehen. Sonst erstickt die Kreativität. In meinem Garten steht ein Schild: „Trau keinem Garten, in dem kein Unkraut wächst“.