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3 Fragen an Stefan Graaf

12. Juli 2021

Stefan Graaf ist seit 2008 Sprecher des Bundesnetzwerks Jobcenter. Die Mitglieder des Netzwerks bestätigten ihn 2021 in diesem Amt. Im Interview spricht der Geschäftsführer des Jobcenters StädteRegion Aachen über Jobcenter- und Netzwerkarbeit auf Distanz und Herausforderungen nach der Corona-Pandemie für die Kolleginnen und Kollegen.

Stefan Graaf

Herr Graaf, allmählich erscheint Licht am Ende des Tunnels. Viele Menschen sind geimpft und die Infektionszahlen gesunken. Was, denken Sie, waren für die Jobcenter-Mitarbeitenden die wichtigsten Lehren der Pandemie-Zeit?

Stefan Graaf: Für uns alle ist erkennbar geworden, dass die Jobcenter mehr denn je ein Garant des Sozialstaates sind. Auch unter Volllast haben die Leistungsberechtigten die ihnen zustehenden Leistungen zum Lebensunterhalt pünktlich erhalten. Insbesondere der Geldleistungsbereich hat erfahren, wie wichtig seine existenzsichernden Leistungen sind. Wir alle miteinander haben einen merklichen digitalen Schub erlebt. Wir sind agiler geworden, haben pragmatische Lösungen gefunden und Kompetenzen unserer Mitarbeitenden zum Beispiel in der telefonischen Beratung weiter ausgebaut. Eine wichtige Erkenntnis für mich ist, dass Hilfebedürftigkeit für viele Menschen viel mehr ist als nur ein Arbeitsmarktproblem. Ganz viele Menschen benötigen das persönliche Gespräch mit unseren Kolleginnen und Kollegen. Denn Armut ist hochgradig heterogen. Im Brennglas der Pandemie verschärfen sich die vulnerablen Lebenssituationen vieler der von uns betreuten Menschen. Sie haben Bildungs- und Ausbildungsdefizite, vielfältige Frustrationen, Migrationserfahrung, Gesundheitsprobleme, Abstiegsängste und psychosoziale Herausforderungen. Das alles gilt es, durch persönliche Nähe und hochqualifizierte Dienstleistungen in verschiedenen Hilfenetzwerken aufzufangen. Nur gemeinsam mit den Menschen können wir Hilfsmöglichkeiten erarbeiten.

Kontaktbeschränkungen haben nicht nur das erschwert, sondern auch die Arbeit des Bundesnetzwerks Jobcenter beeinflusst. Wie lief die Arbeit im Bundesnetzwerk weiter – und welche Erkenntnisse bleiben für die Zukunft?

Stefan Graaf: Sehr beeindruckt hat mich der kollegiale Zusammenhalt und die große Hilfsbereitschaft untereinander. In vielen Jobcentern hat sich der Teamgeist spürbar weiterentwickelt. Für uns alle war die Zeit von sehr vielen Telefon- und Videokonferenzen geprägt. Das hat funktioniert, denn wir konnten auf unsere vielfältigen, bewährten Netzwerke zu allen Beteiligten aufbauen. Denen möchte ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön aussprechen. Die zuständigen Ministerien auf Bundes- und Landesebene, unsere Träger, die Gremien und auch alle übrigen Beteiligten haben sich unendlich engagiert und richtig toll eingebracht.

Die Pandemie hat vor allem die Kommunikation untereinander und mit den Leistungsberechtigten verändert. Haben Sie Pläne, wie Sie in Ihrem Jobcenter künftig beraten und mit den Leistungsberechtigten kommunizieren wollen?

Stefan Graaf: Es gibt aktuell sehr viele Entwicklungen. Die Herausforderung ist jetzt, all das Neue klug miteinander zu verbinden und auf die Bedürfnisse der Menschen auszurichten. Auf der einen Seite haben wir in Aachen viele neue digitale Lösungen. Auf unserer Website gibt es zum Beispiel einen Mietkostenrechner, einen Bedarfsrechner und ein Tool, mit dem Leistungsberechtigte online einen Telefontermin vereinbaren können. Auch ein Online-Kontaktcenter für Bildung- und Teilhabeleistungen haben wir vor Ort entwickelt. Aber: Digitale Lösungen müssen für menschliche Interaktionen genügend Raum lassen und insbesondere verständlich sein. Unsere teilweise hoch vulnerablen Kundengruppen benötigen noch niedrigschwelligere Zugänge. Bei allen guten digitalen Entwicklungen gilt es auf der anderen Seite auch darauf zu achten, dass wir Raum und Freiheit für menschliche Interaktionen lassen. Deshalb haben wir unter anderem einen aufsuchenden Ansatz entwickelt. Wir werden mit einem Jobcenter-Mobil per Auto bei uns in der gesamten StädteRegion unterwegs sein. Und eine wirklich große Herausforderung ist, unsere Verständlichkeit in Bescheiden und Schreiben zu optimieren. Unser Behördendeutsch ist für viele Menschen kaum verständlich.

Weitere spannende Beiträge zur Digitalisierung in den Jobcentern finden Sie in unserem Themendossier.