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Jobcenter-Porträt Stadt Kassel

1. Oktober 2013

Das Jobcenter Stadt Kassel ist zuständig für ein vorwiegend städtisch geprägtes Gebiet in Westdeutschland mit unterdurchschnittlicher Arbeitsmarktlage und hohem Anteil an Langzeitarbeitslosen (SGB II-Vergleichstyp 6). Auffällig viele Menschen sind dank der erfolgreichen Arbeit des Jobcenters von SGB II-Leistungen unabhängig geworden. Die Servicestelle SGB II führte ein Interview mit dem Geschäftsführer Detlev Ruchhöft.

Servicestelle SGB II: Herr Ruchhöft, Sie führen nicht nur das Jobcenter als Geschäftsführer, sondern auch als Amtsleiter das Sozialamt in Kassel, insgesamt über 400 Mitarbeiter. Warum tun Sie sich das an?

Detlev Ruchhöft: Weil es so gewollt war, von allen, und weil es funktioniert. Die Stadt Kassel wollte ein deutliches Zeichen setzen, dass sie mit der Bundesagentur zusammen Verantwortung übernimmt, und hat sich aus strategischen Gründen dafür entschieden, beide Funktionen mit mir zu besetzen. In Personalunion kann ich so auch in den Gremien der Stadt Kassel mitarbeiten, halte die Verbindungen und organisiere mit den Kolleginnen und Kollegen die Umsetzung der Leistungen im Jobcenter und im Sozialamt nach dem SGB II bzw. SGB XII. In der täglichen Arbeit gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen zum Beispiel zur Erwerbsminderung von Kunden oder bei den Leistungen. Das Problem haben wir durch die enge Zusammenarbeit nicht. Und die geringe Fluktuation bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zeigt, dass auch sie das Modell tragen.

Servicestelle SGB II: Wie organisieren Sie die Zusammenarbeit mit der Stadt?

Detlev Ruchhöft: Die Arbeitsstrukturen bei der Stadt sind anders. Ein Beispiel sind die kommunalen Leistungen. Wir bekommen als Jobcenter ein Budget für Leistungen der Schulden- und Suchtberatung sowie für psychosoziale Betreuung. Das Jobcenter kann selbst entscheiden wie der Bedarf aussieht, ob Gutscheine vergeben werden, und evaluiert die Maßnahmen. Der Rahmen sind die Leistungsvereinbarung mit der Stadt und die Verträge zwischen den Trägern, dem Jobcenter und der Stadt.

Servicestelle SGB II: Ist das der Grund, warum Ihr Jobcenter die Zahl der Langzeitleistungsbezieher im vergangenen Jahr um 6,5 Prozent senken konnte?

Detlev Ruchhöft: Nein, das erreichen wir durch intensive Betreuung unserer Kunden und vor allem mit unserem eigenen Arbeitgeberservice. Wir legen den Schwerpunkt nicht auf das elektronische Matching. Unser Ziel ist es, unsere Kunden wirklich zu kennen und, um orientiert an dem Anforderungsprofil des Betriebes die passenden drei, vier Leistungsberechtigten anzubieten. Dabei fokussieren wir uns auf kleine und mittlere Unternehmen. Insgesamt sind wir in Kassel durch unsere spezifische Organisationsstruktur unter anderem mit dem eigenen Arbeitgeberservice, unserem Projekt- und Bearbeitungsbüro sowie unserer intensiven Netzwerkarbeit mit den Unternehmen gut auf den dynamischen Arbeitsmarkt eingestellt.

Servicestelle SGB II: Können denn die Betriebe damit umgehen, wenn gleich mehrere Arbeitgeberservice bei ihnen anklopfen?

Detlev Ruchhöft: Die Betriebe wissen das. Neben den Jobcentern und der Arbeitsagentur sind ja noch weitere Akteure wie zum Beispiel die Zeitarbeitsfirmen, private Arbeitsvermittler und andere im Markt tätig. Unser Arbeitgeberservice pflegt intensiv die Kontakte mit den Verbänden, der Kreishandwerkerschaft, den Innungen und den Kammern. Und wir initiieren besondere Projekte zum Beispiel mit dem Sport und organisieren Patenschaften.

Servicestelle SGB II: Patenschaften zwischen wem?

Detlev Ruchhöft: Ein Beispiel ist unsere Kooperation mit dem Eishockey-Club Kassel Huskies. Wir haben mit dem Management der Huskies vereinbart, dass der Trainer und die Spieler Patenschaften für langzeitarbeitslose Jugendliche übernehmen. Ziel ist die Vermittlung bei den rund 60 Sponsoren der Huskies. In der letzten Spielsaison konnten so immerhin zwölf Jugendliche in Ausbildung beziehungsweise Arbeit vermittelt werden. Und das Projekt werden wir in der Saison 2013/2014 fortsetzen.

Servicestelle SGB II: Das sind ungewöhnliche Maßnahmen. Woher bekommen Sie die Ideen?

Detlev Ruchhöft: Das sind nicht meine Ideen – sie kommen von unseren Kolleginnen und Kollegen. Wir erarbeiten zum Beispiel unser Arbeitsmarktprogramm bottom-up in einem Workshop, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kunden kennen und den Bedarf am besten bewerten können. Dabei kommen immer wieder neue Ideen, die wir auf allen Ebenen diskutieren. Dadurch ist das Arbeitsmarktprogramm zielgerichtet am Bedarf orientiert. Die Kolleginnen und Kollegen werden in die Planung einbezogen und das bedeutet auch eine Wertschätzung für ihre Arbeit.

Servicestelle SGB II: Sie betreuen auch kleine Existenzgründer intensiv, warum?

Detlev Ruchhöft: Es gibt Kundinnen und Kunden, die im 1. Arbeitsmarkt nur geringe Chancen haben, aber gute Ideen für eine Existenzgründung entwickeln. Das kann ein Blumenladen oder ein Kiosk sein. Und das unterstützen wir mit unserem Projekt ProGES (ProGründenErhaltenSichern) durch Beratung und Begleitung. So haben wir festgestellt, dass Menschen mit Migrationshintergrund gerne und erfolgreich mit einem kleinen, eigenen Betrieb arbeiten. Auch kleine Betriebe mit wirtschaftlichen Problemen versuchen wir durch Beratung am Markt zu halten – wenn es realistisch möglich ist! Das unterstützen wir mit relativ kleinen Darlehen oder Förderung zum Beispiel für Betriebsmittel oder übergangsweiser Zahlung des ALG II. Pro Jahr sind das zwischen 180 und bis zu 250 Menschen, die durch Gründung oder Erhaltung eines Betriebes unabhängig von SGB II-Leistungen leben können.

Servicestelle SGB II: Bei Ihrem Jobcenter ist auffällig, dass die Zahl der Aufstocker sinkt, die also neben dem Job noch Leistung zum Lebensunterhalt bekommen. Liegt das am guten Arbeitsmarkt?

Detlev Ruchhöft: Das liegt nicht allein am Arbeitsmarkt, wir helfen kräftig nach. Wenn eine Kundin oder ein Kunde nur einen Minijob hat oder in Teilzeit arbeitet, sprechen wir zuerst den Arbeitgeber an - selbstverständlich mit Einverständnis von Kundin oder Kunde. Wir versuchen den Betrieb zu motivieren, die Arbeitszeit und dadurch das Entgelt zu erhöhen, damit unsere Kundin, unserer Kunde aus dem Leistungsbezug heraus kommt. Alleinerziehende brauchen eine verlässliche Kinderbetreuung, damit wir sie erfolgreich in Arbeit vermitteln können. Mit dem Jugendamt der Stadt Kassel und der Evangelischen Kirche als Trägern von Kitas haben wir Vereinbarungen, dass die Kinderbetreuung bei einer Integration sehr schnell – ohne Wartezeit – sichergestellt wird. Das klappt und wir haben dort ein sehr gutes Netzwerk.

Servicestelle SGB II: Sie hören kommendes Jahr auf. Was würden Sie sich für das Jobcenter wünschen?

Detlev Ruchhöft: Vor allem wünsche ich den engagierten Kolleginnen und Kollegen für ihre erfolgreiche Arbeit einen dynamischen Arbeitsmarkt, genug Mittel für die notwendigen Förderangebote und weiterhin die erforderliche Selbständigkeit für die Umsetzung ihrer Ideen. Und ich würde mir wünschen, dass mittelfristig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer spezifischen Ausbildung beziehungsweise durch besondere Studiengänge für die Arbeit in den Jobcentern qualifiziert werden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vor allem neue – sind in ihrer Arbeit hohen, psychischen Belastungen ausgesetzt. Wir haben es ja teilweise mit Menschen zu tun, die psychisch oder suchtkrank sind. Selbstverständlich bieten wir Schulungen, Beratungen und anders mehr auch durch externe Anbieter an. Die Ausbildungen unserer Träger BA und Stadt sind sehr gut. Aber das reicht nicht.