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Jobcenter-Porträt Nürnberg-Stadt

1. Januar 2014

Im Interview berichtet Dr. Ulrich Gawellek mit welchen Strategien er den Herausforderungen eines Jobcenters des SGB II-Vergleichstyps 1 begegnet. Es handelt sich dabei um „Westdeutsche Städte mit durchschnittlicher Arbeitsmarktlage und hohem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf". Sie sind aber auch gekennzeichnet durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen und ausländischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Seit Mai 2013 leitet er mit dem Jobcenter Nürnberg-Stadt ein solches Jobcenter des SGB II-Vergleichstyps 1.

Jobcenter Nürnberg-Stadt und das Staatstheater Nürnberg

Servicestelle SGB II: Wie würden Sie Ihr Jobcenter beschreiben?

Dr. Ulrich Gawellek: Das Jobcenter Nürnberg-Stadt ist ein typisches Großstadt-Jobcenter, also eines, das mit dem industriellen Strukturwandel zu kämpfen hat. Hinzu kommen ein hoher Anteil an Ausländern und viele Alleinerziehende. Unser besonderes Problem ist die Arbeitslosigkeit im Zentrum – sobald man die Stadt verlässt und in den Speckgürtel kommt, nähert man sich der Vollbeschäftigung.

Servicestelle SGB II: Können Sie die Kunden nicht in diesen Speckgürtel vermitteln?

Dr. Ulrich Gawellek: Nein, die Situation ist schwierig. Schlechter Qualifizierte finden im Zentrum wenig Stellen, weil da die besser Qualifizierten aus dem Umkreis gute Chancen haben. Und wer vom Zentrum heraus im Speckgürtel eine Stelle sucht, hat oft wenig Möglichkeiten, wenn er kein Auto hat. Die Verkehrsverbindungen passen zum Beispiel nicht zum Schichtbetrieb.

Servicestelle SGB II: Wie lösen Sie das Problem?

Dr. Ulrich Gawellek: Wir haben zwei Strategien: Wir machen seit ein, zwei Jahren besonders viel bei den Qualifizierungen, damit sich Menschen überhaupt dem Wettbewerb stellen können. Das ist natürlich nicht ganz einfach, wenn schlecht Deutsch gesprochen wird, oder ein Berufsabschluss fehlt. Aber die Qualifizierung ist uns wichtiger als eine schnelle Integration. Ich möchte das schnelle Rein und Raus in prekäre Arbeitsverhältnisse beenden, der kurzfristigen Integrationsquote renne ich daher nicht hinterher. Denn was hilft es, einen 25-Jährigen ohne Qualifikation in eine Hilfstätigkeit zu vermitteln, wenn ich weiß, dass er in ein paar Monaten wieder auf der Matte steht? Allerdings ist das manchmal auch den Menschen selbst nur schwer zu vermitteln, dass sie die Geduld für eine Qualifizierung und damit für ein langfristiges Ziel aufbringen sollen.

Servicestelle SGB II: Und Ihr zweiter Baustein?

Dr. Ulrich Gawellek: Der zweite Baustein ist das Neukundengeschäft. Wir müssen verhindern, dass unsere Neukunden in den Langzeitbezug hineinwachsen. Dafür setze ich auf verstärkte Integrationsaktivitäten in den ersten sechs bis neun Monaten. Die Termine werden schneller gesetzt als bisher, es gibt eine engere Kontaktdichte in den ersten Monaten und möglichst sofort ein intelligentes Maßnahmeangebot. Die Mitarbeiter stimmen mir zu, dass man das schneller organisieren kann. Wir wollen, dass schon nach rund zwei Wochen klar ist, wie es weitergeht – ob eine Vermittlung das Ziel ist, eine Qualifizierung oder ein Gespräch mit dem Fallmanager.

Servicestelle SGB II: Der Ansatz von Work-First gilt demnach nicht?

Dr. Ulrich Gawellek: Nein, ich will nicht irgendeine Maßnahme, damit derjenige als Zahl verschwindet, sondern den optimalen Instrumenteneinsatz und einen passenden Fahrplan, der individuell zu dem Kunden passt. Damit löse ich gleich drei Probleme: Ich integriere viel, zusätzlich schneller, und spare damit Geld, weil der Langzeitbezug nicht entsteht.

Servicestelle SGB II: Sie müssen die neue Strategie nicht nur bei Kunden umsetzen, sondern auch den Mitarbeitern vermitteln. Wie haben Sie das gemacht?

Dr. Ulrich Gawellek: Das Jobcenter hat 570 Mitarbeiter an vier Standorten. Ich versuche, die geschäftspolitische Prioritäten nicht nur über die übliche Schiene von oben nach unten zu transportieren, sondern hospitiere auch selbst, gebe ein Feedback und spreche regelmäßig mit Mitarbeitern. Der Dialog ist mir wichtig. Die Mitarbeiter sollen merken, der denkt sich dabei was.

Servicestelle SGB II: Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

Dr. Ulrich Gawellek: Am Anfang waren alle sehr nervös, aber das hat sich weitgehend gelegt. Wir veranstalten auch größere Informations- und Gesprächsrunden an den Standorten und mit den Teams, um unsere Strategien so transparent wie möglich zu machen. Das birgt Risiken, weil es Unruhe erzeugt, aber eben auch Chancen.

Servicestelle SGB II: Die neuen Ziele erfordern auch einen anderen Personaleinsatz, vermutlich ohne dass Sie mehr Mitarbeiter haben. Wie organisieren Sie das?

Dr. Ulrich Gawellek: Wir kümmern uns natürlich weiterhin auch um Langzeitarbeitslose, aber es ist richtig, die Ressourcen müssen anders verteilt werden bei dieser Strategie. Ich brauche mehr Mitarbeiter in bestimmten Bereichen und mehr Flexibilität und Rotation, wenn an einem der Standorte Lücken entstehen. Wir steuern da maßvoll um, aber es ist schwierig das zu kommunizieren – die Strukturen im Jobcenter sind noch nicht ausreichend flexibel. Deswegen machen wir es auch auf der Führungsebene vor.

Servicestelle SGB II: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?

Dr. Ulrich Gawellek: Die Breite des Spektrums. Ich habe in der Zentrale und in vielen Arbeitsagenturen gearbeitet, in Nürnberg, Rosenheim, Hamburg, Berlin und in den letzten Jahren in Jena und Gera. Als Agenturleiter geht es inzwischen vor allem um Vermittlung, im Jobcenter gibt es die ganze Palette – auch soziale Fragen. Als Sozialwissenschaftler ist das für mich ein spannendes Umfeld. Und es ist wichtige Arbeit: Wenn Jobcenter nicht gut funktionieren, dann haben wir ein sozialpolitisches Problem.