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Jobcenter-Porträt Landkreis Sonneberg

1. November 2013

Der Soziologe Christian Dressel ist der Aufforderung seiner Großmutter gefolgt und vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg in seine Heimat nach Thüringen zurückgekehrt. Das Jobcenter Sonneberg liegt in einem vorwiegend ländlichem Gebiet in Ostdeutschland mit einer leicht unterdurchschnittlichen Arbeitsmarktlage (SGB II-Vergleichstyp 7). Herr Dressel ist überzeugt, dass er mit seiner Arbeit für die Gemeinschaft, in der er lebt, einen Beitrag leistet.

Servicestelle SGB II: Herr Dressel, Sie betreuen einen großen Landkreis in einem nicht ganz einfachen Umfeld. Trotzdem konnten Sie die passiven Leistungen um sieben Prozent senken. Wie haben Sie das geschafft?

Christian Dressel: Wir nutzen neben den Standardinstrumenten auch sehr intensiv Möglichkeiten wie das Programm 50 Plus, oder akquirieren Sondermittel wie aus dem Landesarbeitsprogramm. Innerhalb dieser Programme können wir mit neuen Ideen experimentieren, die wir bei Erfolg übertragen, und wir können unsere Vermittler durch das zusätzliche Personal, das in den Programmen arbeitet, entlasten. Durch 50 Plus haben wir zum Beispiel sechs Vermittler mehr.

Servicestelle SGB II: Wieviele Beschäftigte hat Ihr Jobcenter?

Christian Dressel: Wir sind 50 Beschäftigte (auf 48 Vollzeitstellen) bei 1700 Bedarfsgemeinschaften. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften konnten wir seit 2006 um die Hälfte senken, darauf sind alle stolz. Hinzu kommen Vermittler bei den Trägern der zusätzlichen Programme.

Servicestelle SGB II: Richtig berühmt in Ihrer Region ist die Arbeitsmarktmesse FAMOS. Wie kamen Sie darauf?

Christian Dressel: Das ist eines der Experimente. Die Idee dazu ist uns gekommen, als Arbeitgeber auf einer Tagung bitter über den Mangel an Bewerbern klagten. Also haben wir innerhalb von drei Wochen, in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit, dem Landkreis und anderen Jobcentern eine Messe organisiert. Dazu wurden Firmen, Arbeitslose und Schüler nicht nur aus Sonneberg eingeladen. Das war ein großer Erfolg. Zuletzt kamen 80 Arbeitgeber und 3800 Besucher. Die meisten der Aussteller haben dadurch neue Mitarbeiter oder Azubi-Anwärter gewonnen. Und wir machen weiter mit der Messe, haben aber die Organisation an einen Wirtschaftsverein abgegeben.

Servicestelle SGB II: Haben Sie denn nicht das Problem, dass Ihre Kunden und die Stellen der Arbeitgeber gar nicht zueinander passen?

Christian Dressel: Es gibt auch unter den schwer Vermittelbaren richtige Perlen. Aber der direkte Kontakt zwischen den Kunden und den Arbeitgebern ist wichtig. Denn der Arbeitgeber sieht manchmal etwas in einem Kunden, das wir nicht sehen. Deswegen haben wir auch schon ein Assessment Center in einem Betrieb organisiert. Das lief ähnlich ab wie ein Speed-Dating. Für die Arbeitslosen ist das motivierender wenn sie in den Betrieb können und der Arbeitgeber kann sich sein eigenes Bild machen. Besonders von Menschen, deren Bewerbung er unter Umständen nicht beachten würde.

Servicestelle SGB II: Wie nachhaltig aber ist diese Vermittlung? Die Fluktuation ist bei Ihnen relativ hoch.

Christian Dressel: Wenn man sagt, ich will nur nachhaltige Integrationen, vermittelt man vielleicht nur zwei. Mir ist es lieber, ich vermittle 40, und von diesen Kunden behalten 20 die Stelle. Es geht darum, den Menschen auch Perspektiven zu geben, statt sie auszusperren. Die anderen 20 haben in dieser Zeit Erfahrungen und Chancen gewonnen. Unser Arbeitsmarkt ist überdurchschnittlich stark, ein Bewerber mit Arbeitserfahrung hat hier sehr gute Chancen, auch nach einer möglichen Förderung zu bleiben oder in anderen Unternehmen Fuß zu fassen. Das ist in strukturschwachen Regionen meist nicht der Fall.

Servicestelle SGB II: Die Kooperation mit anderen Jobcentern betonen Sie besonders. Was haben Sie davon?

Christian Dressel: Wir sind zum Beispiel relativ industrielastig und haben daher wenig Angebote für Verwaltungskräfte – aber in anderen Jobcentern im Umkreis werden sie gesucht. Also schicken wir unsere Profile auch dahin. Wenn der Verlag im benachbarten Coburg gleich 250 Mitarbeiter sucht, dann kann das Coburger Jobcenter das gar nicht alleine. Fakt ist doch, dass wir in der Region alle die Fachkräfte hier behalten wollen. Da ist es mir egal, ob ein Einwohner von Sonneberg oder von Neustadt die Stelle bekommt. Ich will nicht, dass jemand nach München geht, solange es hier noch gute Arbeit gibt. Und wir kooperieren nicht nur unter den Jobcentern – auch mit der Rentenversicherung. Denn die Rehabilitanden werden von der Versicherung vermittelt, nicht von uns. Wir dürfen die Arbeitgeber deswegen nicht fördern. Jetzt führen wir aber dazu gemeinsame Fallkonferenzen durch und prüfen, was zusammen machbar ist.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass Bewerber aus dem SGB II oft eine gewisse Scheu haben, im direkten Umfeld eine Arbeit aufzunehmen. Scheitert dies, ist es für sie peinlich. Nehme ich die Arbeit innerhalb eines kleinen Pendelbereiches auf, kennt mich dort keiner, und wenn es nicht auf Dauer hält muss ich mich nicht beim Nachbarn rechtfertigen. Für alle Seiten ist dies somit einfacherer. Mit dem Verein 50Plus Oberfranken e.V. haben wir damit schon einiges an Beschäftigung grenzübergreifend geschaffen.

Servicestelle SGB II: Sie sind im Vergleich ähnlicher Jobcentertypen Spitzenreiter in der öffentlich geförderten Beschäftigung. Warum?

Christian Dressel: Mit Programmen wie der Bürgerarbeit können wir die Motivation bei den Kunden aufrechterhalten, für die es keine Arbeit gibt, die aber gerne arbeiten möchten. Ohne den Antrieb etwas schaffen zu können und eine Rolle an einem Arbeitsplatz ausfüllen zu können, wird eine Integration nicht funktionieren. Bürgerarbeit ist besser als gar nichts, und das meine ich nicht zynisch. Und wir sind damit erfolgreich: Wir haben zwischen 37 und 40 Prozent der ersten Phase (Aktivierungsteil) der Bürgerarbeiter in den ersten Arbeitsmarkt bringen können.

Servicestelle SGB II: Haben Sie dadurch keine Probleme mit der lokalen Wirtschaft? Da gibt es doch den Vorwurf, dass mit der Bürgerarbeit Jobs verdrängt werden.

Christian Dressel: Nein. Wir haben das sehr früh mit den Kammern und den Arbeitgebern abgestimmt und die Kriterien festgelegt, und zwar noch bevor der Beirat gegründet wurde. Dieser Vorwurf steht daher in unserer Region nicht zur Debatte.

Servicestelle SGB II: Mehr Experimente, Messen, Assessment Center – was halten Ihre Mitarbeiter davon?

Christian Dressel: Die Vermittler sind zwar ordentlich eingespannt, aber sie werden auch entlastet durch die Sonderprogramme. Und wenn die Experimente erfolgreich sind, motiviert das. Unser Arbeitsmarkt ist nicht alltäglich für die Neuen Bundesländer. Ich versuche auch klar zu machen, dass wir mit jedem Vermittelten wirklich etwas für das Allgemeinwohl tun – auch weil man damit Geld spart, und die Kommune profitiert. Das bringt Bestätigung. Wichtig ist aber auch, dass die Träger des Jobcenters den Einsatz wertschätzen, und positiv über unsere Aktionen berichtet wird. Es gibt nun mal kein Patentrezept für die Jobcenter, sonst hätten wir alle vergleichbare Quoten und Probleme.